Eine Braut gehoert dazu
anzureden, obwohl er ihr schon vor Jahren gestattet hatte, ihn Adam zu nennen. Doch sie legte allergrößten Wert auf Anstandsformen.
“Wollten Sie noch etwas sagen, Grace? Wenn ja, dann tun Sie es einfach. Sie arbeiten lange genug für mich, um zu wissen, dass ich abweichende Ansichten zu schätzen weiß.”
Die Gegensprechanlage verstummte. Dann öffnete sich die Tür zu seinem Büro, und Grace trat ein. Sie war eine attraktive Frau Anfang sechzig und achtete ebenso auf ihr Aussehen wie auf seine Korrespondenz. Seit über zwanzig Jahren arbeitete sie bereits für die Morgans. Sie war tüchtig und ordentlich, tippte siebzig Wörter pro Minute, beherrschte Steno, was eine Seltenheit war, und bot nur Rat an, wenn sie dazu gedrängt wurde - eine weitere Seltenheit.
Sie lächelte zögernd, mit einem freundlichen Ausdruck in den blauen Augen. “Manche Frauen reagieren nicht sehr positiv auf Geschenke. Ich habe Miss Baxter kennen gelernt. Sie scheint eine sehr eigenwillige Person zu sein. Sie mit Geschenken und Blumen zu überhäufen, ist meiner Meinung nach nicht der geeignete Weg, um ihr den Hof zu machen.”
“Unsinn. Frauen lieben Blumen. Und welche Frau würde nicht gern verreisen und teuren Schmuck bekommen?”
“Anscheinend die Frau, die Sie auserwählt haben, Mr.
Morgan”, entgegnete sie. “Vielleicht sollten Sie einen sanfteren Annäherungsversuch in Erwägung ziehen.”
“Sanfter?” Adam runzelte verwirrt die Stirn. “In welcher Weise? Ich bin es gewohnt, den direkten Weg zu nehmen, Grace. Das wissen Sie. Ich hasse es, wie eine Katze um den heißen Brei herumzuschleichen. In geschäftlichen Angelegenheiten … “
“Hier geht es nicht ums Geschäft, Mr. Morgan. Es ist eine Angelegenheit des Herzens.”
Adam seufzte. Er verstand die Frauen nicht. Deswegen war er vermutlich so lange Junggeselle geblieben. Die weibliche Gesinnung zu erforschen, war für ihn wie ein Spaziergang durch ein Minenfeld.
Grace wirkte sehr nervös, weil sie ihre Meinung kundgetan hatte, und er lächelte sie beruhigend an. “Ich werde mir Ihren Vorschlag durch den Kopf gehen lassen, Grace. Danke.”
Ohne weiteren Kommentar verließ sie das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.
Adam lehnte sich in seinem Ledersessel zurück und blickte aus dem Fenster auf die historische Stadt. Geistesabwesend griff er nach dem Glas mit Sonnenblumenkernen auf seinem Schreibtisch, das Grace zuvorkommend stets gefüllt hielt.
Morgantown mit seinen von Bäumen gesäumten Straßen war eine Stadt der Kontraste - alt und neu, Backstein und Stahl. Was einmal als kleines, verträumtes Dorf am Flussufer begonnen hatte, hatte sich zu einer blühenden Industriestadt entwickelt -
zum Teil dank des Kohlenbergwerks seiner Familie.
Sein Vorfahr, Colonel Zackquill Morgan, hatte Morgantown im Jahre 1766 begründet, und seitdem wurde die Stadt von Morgans regiert.
Kohle hatte die Morgans extrem reich gemacht, und sie hatten als Dank dazu beigetragen, das einstige Arbeiterdorf in eine angesehene Universitätsstadt zu verwandeln. Die Universität von West Virginia bildete das Herz der Umgebung und stellte den größten Arbeitgeber dar.
Ein Rotkehlchen sang auf einem Ast vor dem Fenster, und die Sonne schien strahlend, wie um Adams düstere Laune zu vertreiben. Doch er konnte sich nicht daran erfreuen.
Seit jener Nacht vor vier Tagen, als er mit Meredith geschlafen hatte, ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er wollte bei ihr sein. Er begehrte sie. Er wollte sie heiraten. Er wollte ihr Gesicht als Erstes sehen, wenn er am Morgen erwachte, und als Letztes, bevor er am Abend einschlief.
Warum war das nicht genug? Warum mussten Frauen immer von Liebe und Romantik reden, so als wäre es das Wichtigste in einer Beziehung? Was war mit gemeinsamen Interessen, Respekt, Freundschaft, Harmonie und Frohsinn? All das bestand zwischen ihnen.
Allison hatte Curtis Tremayne wahnsinnig geliebt. Und wohin hatte es sie gebracht? Unter die Erde.
Adams Ansicht nach wurde die Liebe sehr überschätzt. Es war zu bezweifeln, dass sein Vater seine Mutter inniglich geliebt hatte. Aber sie waren fast vierzig Jahre lang bis zu seinem Tode gut miteinander ausgekommen. Er war zwar einige Affären eingegangen, aber das bedeutete nicht, dass er Lilah nicht auf seine Weise gemocht hatte.
Seine Mutter hatte recht zufrieden gewirkt. Sie hatte ihre riesigen Kleiderschränke mit Designerkleidern gefüllt, sich mit einflussreichen Leuten umgeben und ausgiebige Reisen bis
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