Eine Chance für die Zukunft (German Edition)
setze sie in ihren Kindersitz. Dann rufe ich
beim Kinderarzt an und bekomme tatsächlich sofort einen Termin. Ich trage sie
in die Praxis und halte sie auf dem Arm, während der Arzt sie untersucht. Lilly
hat sich einen fiesen Grippevirus eingefangen. Er verschreibt mir ein paar
Medikamente und schickt mich mit einem neuen Termin für Freitag nach Hause.
Lilly geht es wirklich
schlecht. So kenne ich meinen Spatz gar nicht. Wenn sie sonst mal krank war,
war sie immer eher ruhig und hat viel geschlafen. Jetzt weint sie die ersten
zwei Tage andauernd und ich liege fast nur neben ihr und halte sie in den Armen.
Zwischendurch mache ich Wadenwickel gegen das Fieber und versuche sie zum Essen
und Trinken zu überreden. Nachts stehe ich auf und wechsele die verschwitzten
Laken. Ich schaffe es nicht einmal in Ruhe duschen zu gehen. Diese Woche ist
das erste Mal in den drei Jahren mit Lilly, dass ich wünschte, ich wäre nicht
allein und hätte jemanden, mit dem ich mich abwechseln könnte, der mich ein
bisschen unterstützt.
Am Mittwoch und Donnerstag
geht es Lilly schon wieder besser. Sie wird ruhiger und weint nicht mehr so
viel. Jetzt kann sie auch wieder schlafen, ohne dass ich neben ihr liege. Wir
sehen reichlich Zeichentrickfilme und essen ungesundes Zeug, was es sonst
seltener gibt, aber Hauptsache, sie isst wieder etwas. Auf mein Handy habe ich
seit Montag nicht mehr gesehen, mittlerweile ist der Akku alle und auch mein
Buch liegt total brach. Ich habe seit Tagen mit niemandem außer Lilly
gesprochen und war nur draußen, um die Post hereinzuholen.
Am Freitag müssen wir zum
Arzt. Der Himmel ist zum ersten Mal seit Wochen wieder bewölkt. Mittlerweile
ist es Anfang Juli und das erste richtige Sommerhoch scheint vorbei zu sein.
Die Luft riecht nach Regen und ein frischer Wind weht vom Meer herüber.
Lilly ist glücklicherweise
wieder fast gesund und läuft vor zum Auto in der Einfahrt. Seit Montag habe ich
es nicht geschafft, den Wagen in die Garage zu stellen.
Als ich gerade
aufschließen will, um Lilly einsteigen zu lassen, hält an der Straße neben
meiner Einfahrt ein Motorrad. Der Fahrer macht den Motor aus, steigt ab und kommt
auf mich zu. Ich denke noch, der will bestimmt nach dem Weg fragen, als er
seinen Helm abnimmt. Vor mir in der Einfahrt steht Colin. Ich keuche auf vor
Schreck und taumele zurück bis ich an die Autotür stoße. Wir betäubt starre ich
ihn wortlos an, bis ich wie von Ferne Lillys Stimme höre.
„Hallo! Wer bist du denn?“
Colin dreht sich zu ihr um
und sieht danach wieder zu mir. Fragend. Dann lässt er sich auf ein Knie nieder
und streckt meiner Tochter die Hand hin.
„Hallo! Ich bin Colin. Und
wer bist du?“, lächelt er sie strahlend an.
Mehr Aufforderung braucht
sie nicht. Sie ergreift seine Hand, in der ihre fast komplett verschwindet und
erzählt begeistert.
„Ich bin Lilly und das da
ist meine Mom Annie.“
Er wirft mir einen Blick
über die Schulter zu und ich habe das Gefühl, ich kann sehen, wie sich seine
Augen verdunkeln. Er mustert mich einmal von oben bis unten und zwischen seinen
zusammengezogenen Augenbrauen erscheint eine Falte. Ich kann den Ausdruck in
seinen Augen nicht deuten. Die Angst vor seiner Reaktion lässt mein Herz wie
verrückt schlagen. Mir rauscht das Blut in den Ohren und ich fange an zu
zittern.
Irgendwann höre ich, dass
die beiden sich weiter unterhalten.
„Ach, du warst krank? Das
tut mir leid. Und jetzt musst du zum Arzt, damit der sagen kann, dass du wieder
gesund bist?“
„Ja, genau. Und wenn ich
gesund bin, darf ich Montag wieder in den Kindergarten. Da durfte ich die ganze
Woche nicht hin. Ich hatte Fieber. Ganz doll. Und dann hat Mummy mir so
komische Wickel gemacht und Medizin gegeben. Einen Heilesaft.“
Colin sieht über die
Schulter kurz zu mir, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder meiner Tochter
widmet.
„Kindergarten. Soso. Wie
alt bist du denn? Kindergarten ist doch erst mit drei?“
Ich kann kaum glauben, was
ich da höre. Horcht Colin gerade meine Tochter aus? Und was soll dieser Blick
zu mir immer? Bevor ich einschreiten kann, hat mein kleiner Wirbelwind schon
wieder weiter gequasselt.
„Ich bin schon lange drei!
Ich bin nämlich ein Widderzeichen! Und was bist du?“
Colin scheint etwas
verwirrt. Sie meint ihr Sternzeichen. Meine Freundin Jules steht total auf
Astrologie und Lilly kannte ihr Sternzeichen schon bevor sie wusste, in welcher
Stadt sie wohnt. Ich nutze sein Schweigen und sage Lilly, dass sie
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