Eine dunkle Geschichte (German Edition)
erprobt hatte, wurde Gotthard ihr listiger und harmloser Mitschuldiger. Der Bauernjunge, den niemand in Verdacht haben konnte, ritt von Cinq-Cygne bis Nancy und kehrte manchmal zurück, ohne daß jemand wußte, daß er die Gegend verlassen hatte. Alle Listen der Spione waren ihm geläufig. Das außerordentliche Mißtrauen, das seine Herrin ihm eingeimpft hatte, veränderte seine Wesensart in keiner Weise. Gotthard, der zugleich die weibliche Verschlagenheit, die Offenheit eines Kindes und die stets rege Aufmerksamkeit der Verschwörer besaß, verbarg diese wunderbaren Eigenschaften unter der tiefen Unwissenheit und Gleichgültigkeit der Landbewohner. Dieser Bursche schien albern, linkisch und schwach; war er aber einmal am Werke, so war er behend wie ein Fisch und entschlüpfte wie ein Aal. Er verstand wie ein Hund jeden Blick, witterte den Gedanken. Sein gutes, grobes, rundes und rotes Gesicht, seine schläfrigen braunen Augen, seine nach Bauernart geschnittenen Haare, seine Kleidung, sein fast zurückgebliebenes Wachstum gaben ihm das Aussehen eines zehnjährigen Knaben. Unter dem Schutz ihrer Base, die von Straßburg bis Bar-sur-Aube über sie wachte, kamen die Herren von Hauteserre und von Simeuse in Begleitung mehrerer andrer Emigrierter durch Elsaß-Lothringen und die Champagne, während andre, nicht weniger mutige Verschwörer an den Steilufern der Normandie in Frankreich landeten. Als Arbeiter gekleidet, waren die Hauteserres und die Simeuses von Wald zu Wald gezogen, von Ort zu Ort durch Leute geführt, die Laurence seit drei Monaten in jedem Departement unter den Königstreusten und am wenigsten Verdächtigen ausgesucht hatte. Die Emigranten schliefen bei Tage und wanderten bei Nacht. Jeder von ihnen brachte zwei ergebene Soldaten mit, deren einer auf Kundschaft vorausging, während der andere zurückblieb, um im Fall eines Unglücks den Rückzug zu decken. Dank diesen militärischen Vorsichtsmaßregeln hatte das wertvolle Häuflein ungefährdet den Wald von Nodesme erreicht, der zum Treffpunkt bestimmt war. Siebenundzwanzig andere Edelleute kamen aus der Schweiz und durch Burgund; sie wurden unter gleichen Vorsichtsmaßregeln nach Paris geleitet. Herr von Rivière zählte auf fünfhundert Leute, darunter hundert junge Edelleute, die Offiziere dieser heiligen Schar. Die Herren von Rivière und von Polignac, deren Benehmen als Führer äußerst bemerkenswert war, wahrten unverbrüchliches Schweigen über alle diese Mitverschworenen, und so wurden sie nicht entdeckt. Daher kann man heute in Übereinstimmung mit den während der Restaurationszeit erfolgten Enthüllungen sagen, daß Bonaparte den Umfang der Gefahren, in denen er damals schwebte, so wenig kannte wie England die Gefahr, in die es durch das Lager von Boulogne gebracht ward; und doch wurde die Polizei zu keiner Zeit geistvoller und geschickter geleitet.
In dem Augenblick, da unsre Geschichte beginnt, machte ein Feigling, wie es deren stets bei allen Verschwörungen gibt, die nicht auf eine kleine Zahl gleich starker Männer beschränkt werden, ein Verschworener, der mit dem Tode bedroht wurde, Angaben über das Ziel des Unternehmens, die zum Glück für dessen Umfang unzureichend, aber ziemlich genau waren. Und so ließ die Polizei, wie Malin zu Grévin gesagt hatte, die überwachten Verschwörer frei handeln, um alle Verzweigungen des Komplotts aufzudecken. Immerhin war der Regierung durch Georges Cadoudal, der den Anschlag ausführen sollte, gewissermaßen die Hand gebunden, denn er folgte nur seinem eignen Rat und hielt sich mit fünfundzwanzig Chouans in Paris verborgen, um den Ersten Konsul anzufallen.
In Laurences Denken verband sich Haß mit Liebe. Bonaparte vernichten und die Bourbonen zurückführen – hieß das nicht, Gondreville wiedererlangen und das Glück ihrer Vettern machen? Diese beiden Empfindungen, deren eine der Gegenpol der andern ist, reichen besonders mit dreiundzwanzig Jahren hin, um alle Fähigkeiten der Seele und alle Lebenskräfte zu entfalten. Und so erschien denn Laurence seit zwei Monaten den Bewohnern von Cinq-Cygne schöner denn je. Ihre Wangen waren rosig geworden; die Hoffnung gab ihrer Stirn bisweilen einen Anflug von Stolz. Wenn man dann aber abends die »Gazette« mit den konservativen Maßnahmen des Ersten Konsuls las, senkte sie die Augen, damit man in ihnen nicht die drohende Gewißheit vom baldigen Sturz dieses Feindes der Bourbonen las. Niemand im Schloß ahnte also, daß die junge Gräfin ihre beiden
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