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Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Titel: Eine dunkle Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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speiste denn der Abbé Goujet mit seiner Schwester zweimal wöchentlich in Cinq-Cygne, und sie erschienen jeden Abend zum Kartenspielen bei den Hauteserres. Laurence verstand keine Karte zu halten. Der Abbé Goujet, ein weißhaariger Greis, bleich wie eine alte Frau, hatte ein liebenswürdiges Lächeln und eine sanfte, einschmeichelnde Stimme. Sein nichtssagendes, ziemlich puppenhaftes Gesicht wurde durch zwei sehr kluge Augen und eine Stirn belebt, aus der Intelligenz sprach. Er war mittelgroß, gut gewachsen und trug den schwarzen französischen Priesterrock mit silbernen Hosen- und Schuhschnallen, schwarzseidene Strümpfe und eine schwarze Weste, auf die sein Bäffchen herabfiel, was ihm etwas Großartiges gab, ohne seiner Würde Abbruch zu tun. Dieser Abbé, der nach der Restauration Bischof von Troyes wurde, war durch sein früheres Leben gewöhnt, die Jugend zu beurteilen, und hatte Laurences großen Charakter erkannt. Er schätzte sie nach ihrem ganzen Wert und hatte dem jungen Mädchen von Anfang an eine ehrerbietige Achtung bezeigt, die viel dazu beitrug, sie in Cinq-Cygne selbständig zu machen, so daß die strenge alte Dame und der gute Edelmann sich ihr beugten, wo sie ihnen doch nach dem Brauch hätte gehorchen müssen. Seit sechs Monaten beobachtete der Abbé Goujet Laurence mit der den Priestern eigenen Begabung, denn sie sind ja die scharfblickendsten Leute, und ohne zu wissen, daß das dreiundzwanzigjährige Mädchen damit umging, Bonaparte zu stürzen, während ihre schwachen Hände eine verhäkelte Schnur ihres Reitkleides aufdröselten, nahm er doch an, daß ein großer Plan sie bewegte.
    Fräulein Goujet war eins jener Mädchen, deren Porträt in zwei Worten gezeichnet ist, die auch den Phantasielosesten eine Vorstellung von ihr geben: sie gehörte zum Schlage der Mannweiber. Sie wußte, daß sie häßlich war, lachte zuerst über ihre Häßlichkeit und zeigte dabei ihre langen Zähne, die so gelb waren wie ihre Haut, und ihre knochigen Hände. Sie war durchaus gutmütig und heiter. Sie trug die berühmte altmodische Schoßjacke, einen sehr weiten Rock, dessen Taschen stets voller Schlüssel waren, eine Bänderhaube und eine Haartour. Sie war sehr früh vierzig Jahre alt geworden, aber wie sie sagte, glich sich das wieder aus, da sie seit zwanzig Jahren an diesem Alter festhielt. Sie verehrte den Adel und wußte ihre eigene Würde zu wahren, indem sie den Adligen alle Achtung und Ehren erwies, die ihnen zukamen.
    Diese Gesellschaft war für Frau von Hauteserre sehr zur Zeit nach Cinq-Cygne gekommen, denn sie ging nicht wie ihr Gatte in der Landwirtschaft auf, noch hatte sie wie Laurence die Anregung des Hasses, um sich die Last eines einsamen Lebens erträglich zu machen. Und so war denn auch seit sechs Jahren alles besser geworden. Die Wiederherstellung des katholischen Kults erlaubte die Erfüllung der religiösen Pflichten, die im Landleben mehr Widerhall finden als anderswo. Durch die konservativen Maßnahmen des Ersten Konsuls beruhigt, hatten Herr und Frau von Hauteserre mit ihren Söhnen in Briefwechsel treten und von ihnen hören können. Sie brauchten nicht mehr für deren Leben zu zittern und hatten sie gebeten, ihre Streichung zu beantragen und nach Frankreich zurückzukehren. Der Staatsschatz hatte die rückständigen Zinsen gezahlt und zahlte regelmäßig alle halben Jahre. Die Hauteserres besaßen damals außer ihrer Leibrente achttausend Franken Jahreseinkommen. Der Greis beglückwünschte sich zu seiner klugen Voraussicht; er hatte alle seine Ersparnisse, zwanzigtausend Franken, ebenso wie sein Mündel, vor dem achtzehnten Brumaire angelegt, seit dem alle Anlagen bekanntlich von zwölf auf achtzehn Franken gestiegen waren.
    Lange war Cinq-Cygne kahl, leer und verödet geblieben. Aus Berechnung hatte der vorsichtige Vormund während der Revolutionswirren nichts am Aussehen des Schlosses ändern wollen, aber nach dem Frieden von Amiens hatte er eine Reise nach Troyes gemacht, um ein paar Überreste aus den beiden zerstörten Stadthäusern zu holen, die er bei Trödlern aufgekauft hatte. Damals war der Salon unter seiner Leitung möbliert worden. Schöne Gardinen aus weißer, grün geblümter Seide, die aus dem Hause Simeuse stammten, schmückten die sechs Fenster des Salons, in dem die genannten Personen saßen. Der riesige Raum war ganz mit Holztäfelungen ausgekleidet worden, die in Felder mit Rahmen aus Perlstäben geteilt waren. Sie waren in den Ecken mit Masken geschmückt und

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