Eine dunkle Geschichte (German Edition)
Zweiges der Chargeboeufs, nachdem fünf Töchter dieses Hauses in Abwesenheit ihres Vaters ein Kastell verteidigt hatten. Alle waren auffallend bleich, und kein Mensch hätte von ihnen ein solches Benehmen erwartet. Einer der ersten Grafen der Champagne wollte durch diesen hübschen Namen die Erinnerung daran verewigen, solange die Familie lebte. Seit jener seltsamen Waffentat waren die Töchter dieses Hauses stolz, aber vielleicht nicht alle bleich. Die letzte, Laurence, war entgegen dem salischen Gesetz die Erbin des Namens, des Wappens und der Lehen. Der König von Frankreich hatte den Lehnsbrief des Grafen der Champagne bestätigt, wonach in dieser Familie die Frau den Adel verleihen und erben sollte. Laurence war also Gräfin von Cinq-Cygne; ihr Gatte mußte ihren Namen und ihr Wappen annehmen, auf dem als Wappenspruch die stolze Antwort stand, die die älteste der fünf Schwestern auf die Aufforderung zur Übergabe des Schlosses gab:
»Singend sterben!« Dieser schönen Heldinnen würdig, hatte Laurence eine so weiße Haut, als hätte der Zufall eine Wette gemacht. Die geringsten Verästelungen ihrer blauen Adern schimmerten durch das feine und feste Hautgewebe hindurch. Ihr Haar vom schönsten Blond stimmte wunderbar zu ihren tiefblauen Augen. Alles an ihr war zierlich. Doch in ihrem schmächtigen Körper lebte trotz ihres schlanken Wuchses und ihrer milchweißen Haut eine Seele, so gehärtet wie die des charakterfestesten Mannes. Aber erraten hätte sie niemand, auch kein Beobachter, beim Anblick ihres sanften Ausdrucks und ihrer Gesichtsform, deren Profil eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Kopf eines Schafes hatte. Diese übermäßige, wenn auch vornehme Sanftheit schien bis zur Blödigkeit eines Lammes zu gehen. »Ich sehe aus wie ein träumendes Schaf«, sagte sie bisweilen lächelnd. Laurence, die wenig sprach, schien nicht sowohl nachdenklich als verschlafen. Entstand jedoch eine ernste Lage, so offenbarte sich sofort die verborgene Judith und sie wurde erhaben, und an solchen Lagen hatte es ihr leider nicht gefehlt.
Mit dreizehn Jahren stand Laurence nach den schon bekannten Ereignissen als Waise auf der Stätte, an der sich tags zuvor in Troyes eines der eigenartigsten Häuser im Baustil des sechzehnten Jahrhunderts erhoben hatte: das Hotel Cinq-Cygne. Herr von Hauteserre, einer ihrer Verwandten, der ihr Vormund geworden war, brachte die Erbin sofort aufs Land. Dieser wackere Provinzedelmann, durch den Tod seines Bruders, des Abbé von Hauteserre, erschreckt, den eine Kugel in dem Augenblick auf dem Platze traf, als er sich in Bauerntracht retten wollte, war nicht imstande, die Sache seines Mündels zu verteidigen. Er hatte zwei Söhne im Heere der Prinzen, und täglich glaubte er beim geringsten Geräusch, die Munizipalgardisten von Arcis kämen, ihn zu verhaften. Stolz, eine Belagerung bestanden zu haben und die historische weiße Hautfarbe ihrer Vorfahren zu besitzen, verachtete Laurence diese kluge Feigheit des vom Sturm der Zeit gebeugten Greises; sie dachte nur daran, sich hervorzutun. So hängte sie in ihrem armseligen Salon in Cinq-Cygne dreist das Bild der Charlotte Corday auf, mit geflochtenen Eichenzweigen bekränzt. Durch einen besonderen Boten stand sie mit den Zwillingen in Briefwechsel, trotz dem Gesetz, das sie mit dem Tode bestraft hätte. Der Bote, der gleichfalls sein Leben aufs Spiel setzte, brachte die Antworten zurück. Seit den Katastrophen in Troyes lebte Laurence nur noch für den Triumph der königlichen Sache. Nachdem sie Herrn und Frau von Hauteserre richtig eingeschätzt und ihren braven, aber kraftlosen Charakter erkannt hatte, stellte sie sich außerhalb der Gesetze ihrer Sphäre. Laurence besaß zuviel Geist und wirkliche Nachsicht, um ihnen wegen ihres Charakters zu grollen. Sie war gut, liebenswürdig, herzlich gegen sie, gab ihnen aber keins ihrer Geheimnisse preis. Nichts verschließt die Seele so sehr wie beständige Verstellung im Schoß einer Familie. Als Laurence großjährig wurde, überließ sie die Verwaltung ihrer Geschäfte dem guten Hauteserre wie zuvor. Wenn ihre Lieblingsstute gut geputzt, wenn ihre Zofe Katharina nach ihrem Geschmack gekleidet und ihr kleiner Diener Gotthard anständig angezogen war, fragte sie wenig nach dem übrigen, ihr Denken richtete sich auf ein zu hohes Ziel, als daß sie sich zu Beschäftigungen herabließ, die ihr zu anderen Zeiten gewiß gefallen hätten. Die Kleidung bedeutete wenig für sie; zudem waren ihre Vettern ja
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