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Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Titel: Eine dunkle Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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vor dem Kampfe.
    »Meine liebe Laurence!
    Ich liebe Dich für mein Leben und will, daß Du es weißt. Aber, wenn ich sterben sollte, wisse, daß mein Bruder Paul Maria Dich ebenso liebt wie ich. Mein einziger Trost im Tode wird die Gewißheit sein, daß Du eines Tages meinen Bruder wirst heiraten können, ohne mich vor Eifersucht umkommen zu sehen, denn das würde geschehen, wenn Du ihn mir bei meinen Lebzeiten vorzögest. Alles in allem würde diese Bevorzugung mir ganz natürlich erscheinen, denn vielleicht ist er mehr wert als ich ... usw.
    Maria Paul.«
     
    »Hier ist der andere«, fuhr sie mit reizender Röte auf der Stirn fort:
    »Andernach, vor dem Kampfe.
    »Meine gute Laurence!
    Meine Seele ist etwas traurig, aber Maria Paul hat ein zu frohes Gemüt, um Dir nicht weit mehr zu gefallen als ich. Eines Tages wirst Du zwischen uns wählen müssen: wohlan, obwohl ich Dich leidenschaftlich liebe...«
     
    »Sie standen im Briefwechsel mit Emigranten!« unterbrach Peyrade Laurence und hielt vorsichtshalber die Briefe gegen das Licht, um zu prüfen, ob zwischen den Zeilen nicht eine Schrift in sympathetischer Tinte stand.
    »Ja«, entgegnete Laurence und faltete die kostbaren vergilbten Briefe wieder zusammen. »Aber, was gibt Ihnen das Recht, derart meine Wohnung, meine persönliche Freiheit und alle häuslichen Rechte zu vergewaltigen?«
    »Ah, fürwahr!« rief Peyrade aus. »Wer mir das Recht gibt? Das muß ich Ihnen sagen, schöne Aristokratin,« und damit zog er aus seiner Tasche einen Befehl aus dem Justizministerium, der vom Minister des Innern gegengezeichnet war. »Da, Bürgerin, das haben die Minister auf ihre Kappe genommen...«
    »Wir könnten Sie fragen,« flüsterte Corentin ihr zu, »wer Ihnen das Recht gibt, die Mörder des Ersten Konsuls bei sich aufzunehmen? Sie haben mir einen Peitschenhieb auf die Finger gegeben, der mich ermächtigen könnte, eines Tages einen Schlag zu führen, um Ihre Herren Vettern ins Jenseits zu befördern, während ich sie retten wollte...«
    Bei der bloßen Bewegung seiner Lippen und dem Blick, den Laurence auf Corentin warf, begriff der Pfarrer, was der große unbekannte Künstler sagte, und er machte der Gräfin ein Zeichen des Mißtrauens, das nur Goulard bemerkte. Peyrade klopfte leicht auf den Boden der Schachtel, um festzustellen, ob er nicht doppelt war. »O Gott!« sagte Laurence zu Peyrade und riß ihm den Deckel fort, »zerbrechen Sie ihn nicht... Warten Sie.«
    Sie nahm eine Nadel und drückte auf den Kopf einer Figur, Die beiden Bretter sprangen durch den Druck einer Feder auf, und das eine, das hohl war, zeigte die beiden Miniaturbilder der Herren von Simeuse in der Uniform der Condeschen Armee, zwei in Deutschland auf Elfenbein gemalte Porträts. Corentin, der einen seines ganzen Zorns würdigen Gegner vor sich sah, zog Peyrade in eine Ecke und beriet sich leise mit ihm.
    »Das warfen Sie ins Feuer!« sagte der Abbé zu Laurence mit einem Blick auf den Brief der Marquise und die Haarlocken.
    Statt jeder Antwort zuckte das junge Mädchen bedeutungsvoll die Achseln. Der Pfarrer begriff, daß sie alles preisgab, um die Spione hinzuhalten und Zeit zu gewinnen, und er blickte in bewundernder Gebärde gen Himmel.
    »Wo hat man denn Gotthard verhaftet, den ich weinen höre?« fragte sie ihn laut genug, um gehört zu werden.
    »Ich weiß nicht«, entgegnete der Pfarrer.
    »War er nach dem Pachthof geritten?«
    »Der Pachthof!« sagte Peyrade zu Corentin. »Wir wollen Leute hinschicken.«
    »Nein,« entgegnete Corentin, »dies Mädchen hätte das Heil ihrer Vettern keinem Pächter anvertraut. Sie hält uns zum besten ... Tun Sie, was ich Ihnen sage, damit wir nach dem Fehler, den wir durch unser Herkommen begingen, wenigstens einige Aufklärungen mit fortnehmen.«
    Corentin trat vor den Kamin, hob seine langen spitzen Rockschöße, um sich zu wärmen, und nahm die Miene, den Ton und das Benehmen eines Mannes an, der zu Besuch ist.
    »Meine Damen, Sie können zu Bette gehen, und Ihre Leute gleichfalls. Herr Bürgermeister, Ihre Dienste sind uns jetzt unnütz. Die Strenge unserer Befehle erlaubte uns nicht, anders zu handeln, als wir es getan haben, aber wenn alle Mauern, die mir recht dick scheinen, untersucht sind, gehen wir fort.« Der Bürgermeister grüßte die Gesellschaft und verschwand. Weder der Pfarrer noch Fräulein Goujet rührten sich. Die Leute waren zu besorgt, um das Schicksal ihrer jungen Herrin nicht zu verfolgen. Frau von Hauteserre, die Laurence

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