Eine dunkle Geschichte (German Edition)
Gotthard schlich sich hinter Franz herein und gelangte bis zu Fräulein von Cinq-Cygne, um ihr in aller Harmlosigkeit den zweiten Teil ihres Ringes zu geben. Sie küßte ihn leidenschaftlich, denn sie begriff, daß Michu ihr mit der Zusendung sagte, daß die vier Edelleute geborgen seien.
»Vater läßt fragen, wo er den Brigadier lassen soll, dem es gar nicht gut geht«, sagte er mit bäurischem Ausdruck.
»Was fehlt ihm?« fragte Peyrade.
»Er hat Kopfweh. Er ist doch auch auf die Erde gefallen. Für einen Gendarm, der reiten kann, ist das Pech. Aber er ist aufgeprallt! Er hat ein Loch, oh, so groß wie 'ne Faust, hinten am Kopfe. Er hat scheinbar Unglück gehabt und ist auf einen bösen Stein gefallen. Armer Kerl! Wenn er auch Gendarm ist, er hat doch Schmerzen, daß es einem leid tut.«
Der Gendarmeriehauptmann aus Troyes kam in den Hof geritten, saß ab und winkte Corentin zu. Als der ihn erkannte, stürzte er ans Fenster und riß es auf, um keine Zeit zu verlieren.
»Was gibt es?«
»Wir sind angeführt worden. Man hat fünf Pferde gefunden, die vor Erschöpfung gefallen sind, mit schweißbedecktem, gesträubtem Fell, mitten auf dem großen Waldwege. Ich lasse sie bewachen, um zu erfahren, woher sie kommen und wer sie geliefert hat. Der Wald ist umstellt; wer drin ist, kann nicht hinaus.«
»Wann sind die Reiter nach Ihrer Meinung in den Wald gekommen?«
»Um halb ein Uhr Nachts.«
»Daß mir kein Hase aus dem Wald herauskommt, ohne daß man ihn sieht!« flüsterte Corentin ihm ins Ohr. »Ich lasse Ihnen Peyrade hier und gehe nach dem armen Brigadier sehen. – Bleibe beim Bürgermeister; ich werde dir einen geschickten Mann zur Ablösung senden«, sagte er dem Provenzalen ins Ohr. »Wir müssen die Leute aus der Gegend zu Hilfe nehmen; sieh dir alle Gesichter genau an.«
Dann wandte er sich zu der Gesellschaft und sagte in drohendem Tone: »Auf Wiedersehen!«
Niemand grüßte die Agenten, als sie hinausgingen. »Was wird Fouché zu einer Haussuchung ohne Ergebnis sagen?« rief Peyrade aus, als er Corentin in den Korbwagen half.
»Oh, die Sache ist noch nicht zu Ende«, sagte Corentin ihm ins Ohr. »Die Edelleute müssen im Walde sein.«
Er wies auf Laurence, die sie durch die kleinen Scheiben der großen Salonfenster beobachtete.
»Ich habe schon eine zur Strecke gebracht, die mindestens so viel wert war und die mir die Galle zu sehr erhitzt hat. Kommt sie mir wieder ins Gehege, so werde ich ihr den Peitschenhieb heimzahlen.«
»Die andre war eine Dirne,« sagte Peyrade, »und die da hat eine Stellung ...«
»Mache ich etwa Unterschiede? Alles, was schwimmt, ist Fisch!« sagte Corentin und winkte dem Gendarmen, der ihn fuhr, auf das Postpferd einzuschlagen.
Nach zehn Minuten war das Schloß Cinq-Cygne ganz und gar geräumt. Laurence ließ Franz Michu sich setzen und gab ihm zu essen.
»Wie seid Ihr den Brigadier losgeworden?« fragte sie ihn.
»Meine Eltern haben mir gesagt, es ginge um Tod und Leben, und es dürfte niemand zu uns hinein. Da hörte ich Pferde im Walde kommen und merkte, daß ich es mit Hunden von Gendarmen zu tun hatte, und ich wollte verhindern, daß sie zu uns kamen. Ich holte dicke Stricke von unserm Boden und band sie an einen der Bäume, die am Anfang jedes Weges stehen. Dann spannte ich den Strick in Brusthöhe eines Reiters und schnürte ihn um den Baum gegenüber auf dem Wege, auf dem ich ein Pferd galoppieren hörte. Der Weg war gesperrt. Die Sache klappte. Der Mond schien nicht mehr, mein Brigadier flog zu Boden, war aber nicht tot. Einerlei, die Gendarmen sind nicht leicht tot zu kriegen. Man tut, was man kann.«
»Du hast uns gerettet!« sagte Laurence und gab Franz einen Kuß. Dann geleitete sie ihn bis zum Gitter. Als sie dort niemand sah, flüsterte sie ihm ins Ohr: »Haben sie zu essen?«
»Ich habe ihnen eben ein Zwölf-Pfundbrot und eine Flasche Wein gebracht. Das reicht für sechs Tage.«
Als das junge Mädchen in den Salon zurückkehrte, sah sie sich von den stummen Fragen des Herrn und der Frau von Hauteserre, des Abbé Goujet und seiner Schwester bestürmt. Alle blickten sie voller Bewunderung und Sorge an.
»So hast du sie wiedergesehen?« stieß Frau von Hauteserre hervor.
Die Gräfin legte lächelnd einen Finger auf die Lippen und ging in ihr Zimmer hinauf, um sich zu Bett zu legen.
Der kürzeste Weg von Cinq-Cygne nach Michus Pavillon führte vom Dorf nach dem Pachthofe und endete an dem Rondel, wo Michu tags zuvor die Spione erblickt hatte.
Weitere Kostenlose Bücher