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Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Titel: Eine dunkle Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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kalt, ebenso wie ihr Argwohn, ihre Gedanken, ihr Plan undruchdringlich blieben. Wer aber die Wirkungen der geistigen Witterung dieser beiden Spürhunde auf der Fährte unbekannter und verborgener Tatsachen verfolgt hätte, wer die Bewegungen hündischer Gelenkigkeit begriffen hätte, mit der sie durch eine rasche Prüfung der Wahrscheinlichkeiten zur Wahrheit gelangten, der hätte erschaudern können! Wie und warum standen diese genialen Männer so tief, da sie doch so hoch stehen konnten? Welche Mängel, welches Laster, welche Leidenschaft rissen sie so herab? Ist man Polizist, wie man Denker, Schriftsteller, Staatsmann, Maler, General ist, unter der Bedingung, daß man nichts kann als spionieren, wie jene sprechen, schreiben, regieren, malen oder kämpfen?' Die Schloßbewohner hatten nur einen Herzenswunsch: »Wird der Blitz nicht auf diese Schurken herabfahren?« Alle spürten Rachedurst. Und wären die Gendarmen nicht dagewesen, so wäre ein Aufruhr ausgebrochen. »Hat niemand den Schlüssel zu dem Kästchen?« fragte der Zyniker Peyrade die Anwesenden. Der Provenzale bemerkte mit leisem Schrecken,, daß keine Gendarmen mehr da waren. Er und Corentin waren allein. Dieser zog einen kleinen Dolch aus der Tasche und bemühte sich, ihn in den Spalt des Kastens zu schieben. In diesem Augenblick hörte man erst auf dem Wege, dann auf dem kleinen Pflaster das wilde Dröhnen eines verzweifelten Galopps. Aber noch weit mehr Entsetzen erweckte der Sturz und das Aufstöhnen des Pferdes, das am Fuße des Mittelturms mit allen vier Beinen zugleich zusammenbrach. Eine Erschütterung wie bei einem Blitzstrahl ergriff alle Zuschauer, als man Laurence erblickte, die das Rauschen ihres Reitkleides schon angekündigt hatte. Ihre Leute hatten rasch Spalier gebildet, um sie durchzulassen. Trotz ihres raschen Rittes hatte sie den Schmerz empfunden, den die Entdeckung der Verschwörung ihr bereiten mußte. Alle ihre Hoffnungen waren zusammengebrochen! Sie war durch Trümmer geritten und hatte an die Notwendigkeit gedacht, sich der Konsulatsregierung zu unterwerfen. Und so wäre sie denn ohne die Gefahr, in der die vier Edelleute schwebten, ohnmächtig hingesunken. Aber diese Gefahr war das Reizmittel, durch das sie ihrer Ermüdung und Verzweiflung Herr wurde. Sie hatte ihre Stute fast zu Tode geritten, um zwischen den Tod und ihre Vettern zu treten.
    Beim Anblick dieses heroischen Mädchens, das bleich und mit verzerrten Zügen, den Schleier zur Seite geschlagen, die Reitpeitsche in der Hand, auf die Schwelle trat und mit ihrem brennenden Blick die ganze Szene überflog und erriet, erkannte jeder an der unmerklichen Bewegung, die über Corentins bitteres und verstörtes Gesicht glitt, daß zwei wirkliche Gegner einander gegenüberstanden. Ein furchtbarer Zweikampf stand bevor. Als die junge Gräfin ihre Kassette in Corentins Händen sah, erhob sie die Reitpeitsche, sprang heftig auf ihn los und gab ihm einen so heftigen Schlag auf die Hände, daß die Kassette zu Boden fiel. Sie packte sie, warf sie mitten in die Glut und stellte sich in drohender Haltung vor den Kamin, bevor die beiden Agenten sich von ihrer Überraschung erholt hatten. Verachtung flammte aus Laurences Blicken; ihre bleiche Stirn, ihre verächtlichen Lippen beschimpften diese Männer noch mehr als die autokratische Gebärde, mit der sie Corentin wie ein giftiges Tier behandelt hatte. Der biedere Hauteserre fühlte sich als Kavalier; das Blut schoß ihm ins Gesicht; er bedauerte, keinen Degen zu haben. Die Diener fuhren zuerst vor Freude hoch. Die herbeigesehnte Rache hatte den einen dieser Männer getroffen. Aber ihr Glück ward von einer furchtbaren Angst in die Tiefe ihrer Seele zurückgedrängt: noch immer hörten sie die Gendarmen auf den Böden hin und her gehen. Der Spion , dies kräftige Wort, in dem alle Nuancen zusammenlaufen, die die Polizisten unterscheiden, denn das Publikum hat die verschiedenen Eigenschaften der Leute, die sich mit dieser für die Regierungen notwendigen Apothekerkunst befassen, in der Sprache nie unterscheiden wollen – der Spion also hat etwas Großartiges und Sonderbares an sich: er wird nie böse. Er besitzt die christliche Demut des Priesters, seine Augen sind an Verachtung gewöhnt, und er setzt sie seinerseits wie eine Schranke dem Schwarm der Tröpfe entgegen, die ihn nicht verstehen. Er hat eine eherne Stirn bei Beschimpfungen, er geht auf sein Ziel los wie ein Tier, dessen festes Rückenschild nur von Kanonenkugeln

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