Eine dunkle Geschichte (German Edition)
durchschlagen wird. Aber wenn er getroffen ist, wird er gleich dem Tier um so wütender, als er seinen Panzer für undurchdringlich hielt. Der Peitschenhieb auf die Finger war für Corentin, von dem Schmerz abgesehen, der Kanonenschuß, der den Panzer durchlöchert. Diese Bewegung voller Ekel von Seiten dieses stolzen und edlen Mädchens demütigte ihn nicht allein in den Augen dieser kleinen Welt, sondern auch vor sich selbst. Peyrade, der Provenzale, stürzte auf den Kamin zu, bekam einen Fußtritt von Laurence, packte sie am Fuß und hob ihn empor, so daß er sie durch das Schamgefühl zwang, sich in den Lehnstuhl zu werfen, in dem sie vorhin geschlummert hatte. Das war das Satyrspiel mitten im Schrecklichen, ein häufiger Kontrast in allen menschlichen Dingen. Peyrade versengte sich die Hand, um sich der brennenden Kassette zu bemächtigen, aber er packte sie, stellte sie auf den Boden und setzte sich darauf. Diese kleinen Ereignisse spielten sich stumm und sehr rasch ab. Corentin, der sich von dem Schmerze des Peitschenschlages erholt hatte, hielt Fräulein von Cinq-Cygne an den Händen fest.
»Zwingen Sie mich nicht, schöne Bürgerin, Gewalt gegen Sie zu brauchen«, sagte er in seiner verletzenden Höflichkeit.
Peyrades Tun hatte den Erfolg, daß das Feuer durch den Druck, der die Luft abhielt, erlosch. »Gendarmen! her!« rief er, in seiner wunderlichen Stellung sitzenbleibend.
»Versprechen Sie, artig zu sein?« sagte Corentin unverschämt zu Laurence, indem er seinen Dolch aufhob, ohne den Fehler zu begehen, sie damit zu bedrohen. »Die Geheimnisse dieser Kassette gehen die Regierung nichts an«, antwortete sie mit einem Gemisch von Schwermut in Miene und Tonfall. »Wenn Sie die Briefe gelesen haben, die darin sind, werden Sie sich trotz Ihrer Niedertracht schämen, es getan zu haben... Aber schämen Sie sich noch vor etwas?« setzte sie nach einer Pause hinzu. Der Pfarrer warf Laurence einen Blick zu, als wollte er ihr sagen: »Um Gottes willen, beruhigen Sie sich!« Peyrade stand auf. Der Boden der Kassette, der auf den Kohlen gelegen hatte und fast ganz verbrannt war, ließ einen versengten Fleck auf dem Teppich zurück. Der Deckel war bereits verkohlt, die Seiten gaben nach. Der groteske Scaevola, der dem Gotte der Polizei, der Furcht, den Boden seiner aprikosenfarbenen Hose geopfert hatte, öffnete die beiden Seiten der Kassette, als klappte er ein Buch auf, und ließ drei Briefe und zwei Haarlocken auf den Spieltisch fallen. Er wollte schon mit einem Blick auf Corentin lächeln, als er wahrnahm, daß die Haarlocken von verschiedenem Weiß waren. Corentin ließ Fräulein von Cinq-Cygne los, um den Brief zu lesen, aus dem die Locken gefallen waren. Auch Laurence stand auf, trat neben die beiden Spione und sagte: »Oh! lesen Sie laut vor, das soll Ihre Strafe sein.« Da sie nur mit den Augen lasen, so las sie selbst den folgenden Brief vor:
»Liebe Laurence! »Wir erfuhren von Deinem schönen Benehmen an dem traurigen Tage unserer Verhaftung, mein Gatte und ich. Wir wissen, Du liebst unsre geliebten Zwillinge ebensosehr und ebenso gleichmäßig wie wir selbst. Deshalb übergeben wir Dir ein für sie ebenso kostbares wie trauriges Pfand. Der Herr Scharfrichter hat uns eben die Haare geschoren, denn wir sollen in wenigen Augenblicken sterben, und er hat uns versprochen, Dir die beiden einzigen Andenken zukommen zu lassen, die wir unsern geliebten Waisen geben können. So hebe denn für sie diese Überreste von uns auf, und gib sie ihnen in besseren Zeiten. Wir haben einen letzten Kuß für sie darauf gedrückt, und unseren Segen beigefügt. Unser letzter Gedanke wird zunächst unseren Söhnen gelten, dann Dir und schließlich Gott! Habe sie lieb.
Bertha von Cinq-Cygne
Johann von Simeuse.«
Beim Verlesen dieses Briefes füllten sich alle Augen mit Tränen.
Mit fester Stimme sagte Laurence zu den beiden Agenten, indem sie ihnen einen versteinernden Blick zuwarf:
»Sie haben weniger Mitleid als der Herr Scharfrichter!«
Corentin legte die Haare ruhig in den Brief und diesen zur Seite auf den Tisch, dann stellte er einen Korb mit Spielmarken darauf, damit er nicht wegflog. Diese Kaltblütigkeit inmitten der allgemeinen Aufregung war scheußlich. Peyrade entfaltete die beiden anderen Briefe.
»Oh, die sind ungefähr ebenso«, sagte Laurence. »Sie haben das Testament gehört, dies ist die Vollstreckung. Fortan wird mein Herz für niemand mehr Geheimnisse haben, weiter nichts.«
»1794, Andernach,
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