Eine dunkle Geschichte (German Edition)
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Bordin benutzte die Aussage des Senators als Waffe, um die Freisprechung der Angeklagten zu fordern.
Der Vorsitzende gab das Resumé um so unparteiischer, als die Geschworenen sichtlich überzeugt waren. Er ließ die Wage sogar zugunsten der Angeklagten sinken, indem er auf die Aussage des Senators besonderen Wert legte. Diese Gefälligkeit stellte den Erfolg der Anklage nicht mehr in Frage. Um elf Uhr abends, nachdem der Direktor der Jury die verschiedenen Antworten erteilt hatte, verurteilte der Gerichtshof Michu zum Tode, die Herren von Simeuse zu vierundzwanzig Jahren und die Herren von Hauteserre zu zehn Jahren Zuchthaus; Gotthard wurde freigesprochen. Der ganze Saal wollte sehen, wie die fünf Schuldigen sich in dem letzten Augenblick benehmen würden, wo sie frei vor den Gerichtshof geführt wurden, um ihr Urteil zu vernehmen. Die vier Edelleute blickten Laurence an, die ihnen mit tränenlosen Augen den flammenden Blick der Märtyrer zuwarf.
»Sie würde weinen, wären wir freigesprochen worden!« sagte der jüngere Simeuse zu seinem Bruder. Niemals haben Angeklagte eine ungerechte Verurteilung mit gleich heiterer Stirn und gleich würdiger Haltung entgegengenommen wie diese fünf Opfer eines grausigen Komplotts.
»Unser Verteidiger hat Ihnen vergeben!« sagte der ältere Simeuse zu dem Gerichtshof.
Frau von Hauteserre erkrankte und lag im Hotel Chargeboeuf drei Monate zu Bett. Der biedere Hauteserre kehrte nach Cinq-Cygne zurück, aber er wurde von einem jener Greisenschmerzen verzehrt, für die es keine Ablenkungen der Jugend gibt, und so hatte er oft Augenblicke von Geistesabwesenheit, die dem Pfarrer bewiesen, daß der arme Vater noch stets am Tage nach dem verhängnisvollen Urteil lebte. Die schöne Martha brauchte nicht verurteilt zu werden; sie starb im Gefängnis, zwanzig Tage nach der Verurteilung ihres Mannes. Ihren Sohn empfahl sie Laurence, in deren Armen sie verschied. Sobald das Urteil bekannt geworden war, erstickten politische Ereignisse von höchster Bedeutung die Erinnerung an diesen Prozeß, und es war nicht mehr die Rede davon. Die Gesellschaft ist wie das Meer; nach einer Katastrophe glättet sie sich ihre Oberfläche wieder und löscht die Spur durch den Wellenschlag ihrer verzehrenden Interessen aus.
Ohne ihre Seelenstärke und ihre Überzeugung von der Unschuld ihrer Vettern wäre Laurence unterlegen, aber sie gab neue Beweise von der Größe ihres Charakters und setzte Herrn von Granville und Bordin durch die anscheinende Heiterkeit in Staunen, die das tiefste Unglück schönen Seelen aufprägt. Sie pflegte Frau von Hauteserre, wachte bei ihr und ging täglich zwei Stunden ins Gefängnis. sie sagte, sie würde einen ihrer Vettern heiraten, wenn sie im Zuchthause wären.
»Im Zuchthause!« rief Bordin aus. »Aber, gnädiges Fräulein, denken wir nur noch daran, den Kaiser um ihre Begnadigung zu bitten!«
»Ihre Begnadigung von einem Bonaparte?« rief Laurence voller Schaudern aus.
Die Brille fiel dem alten, würdigen Anwalt von der Nase. Er fing sie im Fallen auf und blickte das junge Mädchen an, das jetzt einer Frau glich: er begriff diesen Charakter in seinem ganzen Ausmaß, nahm den Marquis von Chargeboeuf beim Arme und sagte:
»Herr Marquis, eilen wir nach Paris, um sie ohne das Fräulein zu retten!«
Die Berufung der Herren von Simeuse, von Hauteserre und Michu waren die erste Sache, die der Kassationshof abzuurteilen hatte. Das Urteil ward also zum Glück durch die Zeremonien der Einsetzung dieses Gerichtshofes verzögert.
Gegen Ende September, nach drei Sitzungen, die von den Plädoyers und dem Generalstaatsanwalt Merlier, der selbst das Wort führte, erfüllt waren, wurde die Berufung verworfen. Der Kaiserliche Gerichtshof in Paris wurde errichtet und Herr von Granville daselbst zum Stellvertreter des Generalstaatsanwalts ernannt. Da nun das Departement Aube unter der Gerichtsbarkeit dieses Gerichtshofes stand, vermochte er in seinem Ministerium Schritte zugunsten der Angeklagten zu tun, und ermüdete seinen Gönner Cambacérès. Bordin und Herr von Chargeboeuf kamen am Morgen nach dem Urteil in sein Haus im Marais, wo sie ihn im Honigmond seiner Ehe fanden, denn er hatte inzwischen geheiratet. Trotz aller Ereignisse, die im Leben seines früheren Advokaten eingetreten waren, merkte Herr von Chargeboeuf an der Betrübtheit des jungen Stellvertreters wohl, daß er seinen Klienten treu blieb. Gewisse Advokaten, die Künstler ihres Berufes, verlieben sich ja
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