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Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Titel: Eine dunkle Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Durchlaucht!« rief Bordin aus.
    »Begeisterung? Und bei Ihnen, Bordin? Dann ist an dem Manne was dran. – Unser Herrscher hat eine fabelhafte Eigenliebe, Herr Marquis«, sagte er, den Gesprächsstoff wechselnd. »Er will mich verabschieden, um ohne Widerspruch Torheiten zu machen. Er ist ein großer Soldat, der die Gesetze von Raum und Zeit zu ändern vermag, aber die Menschen kann er nicht ändern, und doch möchte er sie zu seinem Gebrauch umschmelzen. Nun vergessen Sie nicht, daß die Begnadigung Ihrer Verwandten nur von einem einzigen Wesen abhängt... Fräulein von Cinq-Cygne.«
    Der Marquis reiste allein nach Troyes und sagte Laurence, wie die Dinge stünden. Laurence erhielt von dem Kaiserlichen Staatsanwalt die Erlaubnis, Michu zu besuchen, und der Marquis begleitete sie bis zur Gefängnistür, wo er wartete. Sie kam mit Tränen in den Augen heraus.
    »Der Ärmste«, sagte sie, »hat versucht, vor mir niederzuknien, um mich zu bitten, nicht mehr an ihn zu denken; er vergaß, daß er Ketten an den Füßen hat! Ach, Marquis, ich werde seine Sache vertreten. Ja, ich will Ihrem Kaiser die Stiefel küssen. Und mißlingt mir das, nun, dann soll dieser Mann ewig in unserer Familie leben; dafür werde ich sorgen. Reichen Sie sein Gnadengesuch ein, um Zeit zu gewinnen; ich will sein Bild haben ... Reisen wir ab.«
    Am nächsten Morgen erfuhr der Minister durch ein vereinbartes Zeichen, daß Laurence auf ihrem Posten stand. Er schellte, sein Türsteher kam und erhielt Befehl, Herrn Corentin vorzulassen.
    »Mein Lieber, Sie sind ein geschickter Mann,« sagte Talleyrand zu ihm, »ich will Sie verwenden.«
    »Durchlaucht ...«
    »Hören Sie zu. Wenn Sie Fouché dienen, bekommen Sie Geld, aber nie Ehre oder eine eingestehbare Stellung. Wenn Sie aber mir stets so dienen, wie Sie ihm eben in Berlin gedient haben, bekommen Sie Ansehen.«
    »Durchlaucht sind sehr gütig ...«
    »Bei Ihrer letzten Sache haben Sie Genie gezeigt, in Gondreville ...«
    »Was meint Euer Durchlaucht?« fragte Corentin mit einer weder zu kalten, noch zu überraschten Miene.
    »Herr,« entgegnete der Minister trocken, »Sie werden es zu nichts bringen. Sie fürchten ...«
    »Was, Durchlaucht?«
    »Den Tod!« sagte der Minister mit seiner schönen, tiefen und hohlen Stimme. »Leben Sie wohl, mein Lieber.«
    »Er ist es«, sagte der Marquis von Chargeboeuf beim Eintreten. »Aber wir haben die Gräfin fast umgebracht; sie erstickt!«
    »Nur er ist imstande, solche Streiche zu spielen«, sagte der Minister. »Herr Marquis, Sie laufen Gefahr, keinen Erfolg zu haben«, fuhr er fort. »Schlagen Sie zum Schein die Straße nach Straßburg ein; ich werde Ihnen doppelte unausgefüllte Pässe schicken. Verschaffen Sie sich Doppelgänger, wechseln Sie geschickt die Straße und vor allem den Wagen, lassen Sie Ihre Doppelgänger in Straßburg an Ihrer Stelle verhaften, und reisen Sie durch die Schweiz und durch Bayern nach Preußen. Kein Wort, und Vorsicht! Sie haben Polizei gegen sich, und Sie wissen nicht, was Polizei ist!...«
    Fräulein von Cinq-Cygne bot Robert Lefebvre eine hinreichende Summe, um ihn zur Reise nach Troyes zu bestimmen, wo er Michus Bild malen sollte, und Herr von Granville versprach diesem damals berühmten Maler alle möglichen Erleichterungen. Herr von Chargeboeuf reiste in seiner alten Halbberline mit Laurence und einem Diener ab, der Deutsch sprach. Doch bei Nancy holte er Gotthard und Fräulein Goujet ein, die ihnen in einer ausgezeichneten Kalesche vorausgefahren waren. Er nahm diese Kalesche und ließ ihnen die Halbberline. Der Minister hatte recht gehabt. In Straßburg weigerte sich der Generalkommissar der Polizei, die Pässe der Reisenden zu visieren, indem er strenge Befehle vorschützte. Zur gleichen Zeit verließen der Marquis und Laurence Frankreich über Besançon mit diplomatischen Pässen. Laurence fuhr in den ersten Oktobertagen durch die Schweiz, ohne diesem herrlichen Lande die geringste Beachtung zu schenken. Sie saß im Rücksitz der Kalesche in der Erstarrung, in die der Verbrecher verfällt, wenn er die Stunde seiner Hinrichtung kennt. Die ganze Natur bedeckt sich dann mit brodelndem Dunst, und die gewöhnlichsten Dinge nehmen ein phantastisches Aussehen an. Der Gedanke: »Wenn ich keinen Erfolg habe, so töten sie sich«, fiel auf ihre Seele herab, wie dereinst die Stange des Henkers auf die Glieder des Geräderten. Sie fühlte sich immer gebrochener und verlor alle ihre Energie in der Erwartung des grausamen,

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