Eine dunkle Geschichte (German Edition)
entscheidenden und raschen Augenblicks, da sie dem Manne gegenüberstehen sollte, von dem das Schicksal der vier Edelleute abhing. Sie hatte beschlossen, sich völlig gehen zu lassen, um ihre Tatkraft nicht unnütz zu verbrauchen. Der Marquis war unfähig, diese Berechnung starker Seelen zu verstehen, die sich äußerlich in verschiedener Weise kundgibt, denn in diesen letzten Stunden des Wartens überlassen sich gewisse höhere Geister einer erstaunlichen Lustigkeit, und so fürchtete er, Laurence nicht mehr lebend zu dieser Begegnung zu bringen, die nur für sie beide feierlich war, aber sicherlich die gewöhnlichen Maße des Privatlebens überschritt. Für Laurence war die Demütigung vor diesem Manne, der den Gegenstand ihres Hasses und ihrer Verachtung bildete, der Tod aller ihrer hochherzigen Empfindungen.
»Nachher«, sagte sie, »wird die Laurence, die weiterlebt, der Laurence, die jetzt zugrunde geht, nicht mehr ähnlich sein.«
Nichtsdestoweniger fiel es den beiden Reisenden schwer, die ungeheure Bewegung von Menschen und Dingen, in die sie hineingerieten, als sie Preußen erreicht hatten, nicht zu bemerken. Der Feldzug von Jena hatte begonnen. Laurence und der Marquis sahen die prächtigen Divisionen der französischen Armee an ihnen vorbeiziehen und paradieren wie in den Tuilerien. In dieser Entfaltung militärischen Glanzes, der sich nur mit den Worten und Bildern der Bibel schildern läßt, nahm der Mann, der diese Massen belebte, in Laurences Phantasie ungeheure Maße an. Bald klangen Siegesrufe an ihr Ohr. Die kaiserlichen Heere hatten zwei bedeutende Vorteile errungen. Der Prinz von Preußen war bei Saalfeld gefallen, einen Tag, bevor die Reisenden dort eintrafen, um Napoleon einzuholen, der mit Blitzesschnelle dahinzog. Endlich, am 13. Oktober, einem Tage von schlimmer Vorbedeutung, fuhr Fräulein von Cinq-Cygne mitten durch die Korps der Großen Armee an einem Flusse entlang. Sie sah nichts als Verwirrung, wurde von Dorf zu Dorf, von Division zu Division geschickt und war entsetzt, sich allein mit einem Greise in einem Meere von hundertundfünfzigtausend Menschen umhergeworfen zu sehen, denen andere hundertundfünfzigtausend gegenüberstanden. Sie ward es müde, über den Hecken eines schlammigen Weges, dem sie über eine Anhöhe folgte, stets diesen Fluß zu sehen, und sie fragte einen Soldaten nach seinem Namen.
»Das ist die Saale«, antwortete er und zeigte ihr das preußische Heer, das am anderen Ufer dieses Flusses in großen Massen gruppiert war.
Die Nacht kam. Laurence sah Feuer aufflammen und Waffen blinken. Der alte Marquis saß in seiner unerschrockenen Ritterlichkeit neben seinem neuen Diener und lenkte zwei gute Pferde, die er Tags zuvor gekauft hatte, denn der Greis wußte wohl, daß er bei der Ankunft auf einem Schlachtfelde weder Postillone noch Pferde finden würde. Plötzlich wurde die verwegene Kalesche, die das Staunen aller Soldaten bildete, von einem Feldgendarmen angehalten, der mit verhängten Zügeln auf den Marquis lossprengte und ihn anschrie:
»Wer sind Sie? Wo wollen Sie hin? Zu wem wollen Sie?«
»Zum Kaiser«, sagte der Marquis von Chargeboeuf. »Ich habe eine wichtige Depesche des Ministers für den Großmarschall Duroc.«
»Nun, hier können Sie nicht bleiben«, sagte der Gendarm.
Fräulein von Cinq-Cygne und der Marquis waren um so mehr genötigt, dort zu bleiben, als der Tag sich neigte.
»Wo sind wir?« fragte Fräulein von Cinq-Cygne zwei Offiziere, die sie auf sich zukommen sah und deren Uniformen von Tuchüberröcken verdeckt waren.
»Sie sind vor der Vorhut der französischen Armee, Madame«, entgegnete der eine der beiden Offiziere. »Sie können hier nicht bleiben, denn wenn der Feind eine Bewegung macht und die Artillerie schießt, kommen Sie zwischen zwei Feuer.«
»Ach!« sagte sie mit gleichgültiger Miene.
Bei diesem »Ach!« sagte der andre Offizier:
»Wie kommt die Frau hierher?«
»Wir warten auf einen Gendarmen«, sagte sie, »der zu Herrn Duroc geritten ist, um uns anzumelden. Er wird uns in Schutz nehmen, damit wir den Kaiser sprechen können.«
»Den Kaiser sprechen?« sagte der erste Offizier. »Wohin denken Sie! Am Vorabend einer Entscheidungsschlacht!«
»Ach! Sie haben recht!« sagte sie. »Ich darf ihn erst übermorgen sprechen. Der Sieg wird ihn milder stimmen.«
Die beiden Offiziere stellten sich in zwanzig Schritt Entfernung auf und blieben dort auf ihren unbeweglichen Pferden halten. Nun wurde die Kalesche von einem
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