Eine dunkle Geschichte (German Edition)
bringen. Sie brauchten sie nur von mir zu verlangen, um sie zu erhalten.«
»Hat der Herr Senator nicht Papiere in seinem Park verbrennen lassen?« fragte Herr von Granville plötzlich.
Der Senator blickte Grévin an. Nachdem er mit dem Notar rasch einen schlauen Blick getauscht hatte, den Bordin auffing, antwortete er, er hätte keine Papiere verbrannt. Als der öffentliche Ankläger ihn um Auskunft über den Hinterhalt in seinen Park hat, dessen Opfer er fast geworden wäre, und die Frage stellte, ob er sich nicht über die Lage des Gewehrs getäuscht hätte, sagte der Senator, Michu habe in einem Baume gelauert. Diese Antwort, die mit Grévins Aussage übereinstimmte, machte lebhaften Eindruck.
Die Edelleute blieben während der Aussage ihres Feindes, der sie mit seiner Großmut überschüttete, unbeweglich. Laurence litt die gräßlichsten Todesqualen, und der Marquis von Chargeboeuf hielt sie immerfort am Arme zurück. Als der Graf von Gondreville sich zurückzog, grüßte er die vier Edelleute. Sie erwiderten seinen Gruß nicht. Dieser kleine Zug erbitterte die Geschworenen.
»Sie sind verloren«, sagte Bordin dem Marquis ins Ohr.
»Ach, stets durch den Hochmut ihrer Empfindungen!« erwiderte Herr von Chargeboeuf.
»Unsere Aufgabe ist nur zu leicht geworden, meine Herren«, sagte der öffentliche Ankläger, indem er aufstand und die Geschworenen ansah.
Er erklärte die Verwendung der zwei Säcke Kalk mit der Einmauerung des eisernen Hakens, der zum Anbringen des Vorlegeschlosses nötig war, das den Riegel festhielt, mit dem die Kellertür verschlossen war; die Beschreibung befand sich in dem Protokoll, das Pigault am Morgen aufgenommen hatte. Er wies mit Leichtigkeit nach, daß allein die Angeklagten das Vorhandensein des Kellers kannten. Er setzte die Lügen der Verteidigung ins Licht, zermalmte alle Argumente mit den neuen Beweisen, die so wunderbar gekommen waren. Im Jahre 1806 stand man dem höchsten Wesen von 1793 noch zu nahe, um von der göttlichen Gerechtigkeit zu reden; das Eingreifen des Himmels erließ er den Geschworenen also. Schließlich sagte er, die Justiz werde ein Auge auf die unbekannten Mitschuldigen haben, die den Senator befreit hätten; dann setzte er sich und erwartete vertrauensvoll das Urteil.
Die Geschworenen glaubten an ein Geheimnis, waren aber alle überzeugt, daß dies Geheimnis von den Angeklagten ausging, die in einem persönlichen Interesse von höchster Wichtigkeit schwiegen.
Herr von Granville stand auf; für ihn war irgendeine Machenschaft zur Gewißheit geworden; aber er schien niedergedrückt, nicht sowohl durch die neu hinzugekommenen Zeugenaussagen als durch die offenbare Überzeugung der Geschworenen. Er übertraf sein Plädoyer vom vorigen Tage vielleicht noch. Dies zweite Plädoyer war sicherlich logischer und gedrungener als das erste. Aber er fühlte, wie seine Glut an der Kälte der Geschworenen abprallte; er sprach umsonst, und er sah es! Eine furchtbare, eisige Situation. Er wies darauf hin, wie sehr die Befreiung des Senators, die wie durch Zauberei und ganz gewiß ohne Beihilfe irgendeines der Angeklagten oder Marthas bewerkstelligt worden war, seine ersten Schlußfolgerungen bestätigte. Gestern konnten die Angeklagten sicherlich an ihre Freisprechung glauben, und wenn es – nach der Behauptung der Anklage – bei ihnen stand, den Senator gefangen zu halten oder ihn freizulassen, so hätten sie ihn erst nach dem Urteilsspruche befreit. Er suchte begreiflich zu machen, daß nur im Dunkeln verborgene Feinde diesen Streich hätten führen können.
Seltsam! Herr von Granville beunruhigte nur das Gewissen des öffentlichen Anklägers und der Richter, denn die Geschworenen hörten ihm nur aus Pflichtgefühl zu. Selbst das Publikum, das den Angeklagten stets so günstig gesinnt ist, war von ihrer Schuld überzeugt. Es gibt eine Gedankenatmosphäre. In einem Gerichtssaal lasten die Gedanken der Menge auf den Richtern und Geschworenen und umgekehrt. Als der Verteidiger diese Geistesverfassung sah, redete er sich in seinen Schlußworten in eine Art fieberhafter Begeisterung hinein, die aus seiner Überzeugung kam.
»Im Namen der Angeklagten«, rief er, »verzeihe ich Ihnen im voraus einen verhängnisvollen Irrtum, den nichts zerstreuen wird. Wir alle sind die Spielbälle einer unbekannten, machiavellistischen Macht. Martha Michu ist das Opfer einer abscheulichen Niedertracht, und die Gesellschaft wird es erkennen, wenn das Unglück nicht wieder gutzumachen
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