Eine dunkle Geschichte (German Edition)
Entlastungszeugen festgestellt, daß dies von Michu entdeckte Versteck nur ihm, Laurence und den vier Edelleuten bekannt war. Man kann sich die Wirkung auf die Zuhörer und auf die Geschworenen vorstellen, als der öffentliche Ankläger verkündete, daß dieser nur dem Angeklagten und zwei Zeugen bekannte Keller als Gefängnis des Senators gedient hatte. Martha wurde hereingeführt. Ihr Erscheinen rief unter den Zuschauern und bei den Angeklagten die lebhaftesten Befürchtungen wach. Herr von Granville erhob sich, um gegen die Vernehmung der Frau als Zeugin gegen ihren Mann Einspruch zu erheben. Der öffentliche Ankläger wies darauf hin, daß Martha nach ihrem eignen Geständnis mitschuldig an dem Delikt sei; sie hätte weder einen Eid zu leisten noch ein Zeugnis abzulegen; sie solle lediglich im Interesse der Wahrheit vernommen werden.
»Wir brauchen übrigens nur ihr Verhör vor dem Vorsitzenden verlesen zu lassen«, sagte der Präsident und ließ das am Morgen aufgesetzte Protokoll durch den Gerichtsschreiber vorlesen.
»Halten Sie dies Geständnis aufrecht?« fragte der Präsident.
Michu blickte seine Frau an, und Martha, die ihren Irrtum erkannte, fiel ohnmächtig zu Boden. Man kann buchstäblich sagen, daß der Blitz auf die Anklagebank und auf die Verteidiger niederfuhr. »Ich habe aus meinem Gefängnis nie an meine Frau geschrieben und kenne keinen der Angestellten«, sagte Michu.
Bordin reichte ihm die Bruchstücke des Briefes; Michu brauchte nur einen Blick darauf zuwerfen. »Meine Schrift ist gefälscht!« rief er aus.
»Das Leugnen ist Ihre letzte Ausflucht«, sagte der öffentliche Ankläger.
Nun wurde der Senator unter den für seinen Empfang vorgeschriebenen Zeremonien eingeführt. Sein Erscheinen war ein Theatercoup. Malin, den die Richter ohne Erbarmen mit den früheren Besitzern dieses schönen Landgutes Graf von Gondreville nannten, blickte auf Ersuchen des Präsidenten die Angeklagten lange mit größter Aufmerksamkeit an. Er erkannte die Kleidung seiner Entführer als genau dieselbe wie die der Edelleute, erklärte jedoch, er sei im Augenblick seiner Entführung derart verwirrt gewesen, daß er nicht behaupten könne, ob die Angeklagten die Schuldigen seien.
»Mehr noch,« sagte er: »ich bin überzeugt, daß diese vier Herren nichts damit zu tun haben. Die Hände, die mir die Augen verbanden, waren grob. Daher«, sagte er mit einem Blick auf Michu, »würde ich eher glauben, daß mein früherer Verwalter sich damit befaßt hat, aber ich bitte die Herren Geschworenen, meine Aussage wohl zu erwägen. Mein Verdacht ist in dieser Hinsicht sehr leicht, und ich habe nicht die geringste Gewißheit. Der Grund ist dieser. Die beiden Männer, die sich meiner bemächtigten, setzten mich hinter den, der mir die Augen verbunden hatte, auf ein Pferd; seine Haare waren rot wie die des Angeklagten Michu. So sonderbar meine Beobachtung auch sein mag, ich muß doch davon reden, denn sie bildet die Grundlage zu einer für den Angeklagten günstigen Überzeugung, an der ich keinen Anstoß zu nehmen bitte. Als ich am Rücken eines Unbekannten hing, mußte ich trotz des schnellen Ritts seinen Geruch merken. Nun aber erkannte ich den Geruch, der Michu eigen ist, nicht wieder. Was die Person betrifft, die mir dreimal Lebensmittel brachte, so bin ich sicher, daß es Martha, Michus Frau, war. Schon das erstemal erkannte ich sie an einem Ringe, den ihr Fräulein von Cinq-Cygne geschenkt hat, und den sie abzutun vergessen hatte. Das Gericht und die Herren Geschworenen werden die Widersprüche würdigen, die in diesen Tatsachen liegen, und die ich mir noch nicht erklären kann.«
Wohlwollendes Murmeln und einstimmiger Beifall folgte auf Malins Aussage. Bordin bat den Gerichtshof, ein paar Fragen an diesen wertvollen Zeugen richten zu dürfen.
»Der Herr Senator glaubt also, daß seine Freiheitsberaubung andere Gründe hat als die Interessen, die die Anklage bei den Angeklagten annimmt?«
»Gewiß!...« sagte der Senator. »Aber ich kenne diese Motive nicht, denn ich erkläre, daß ich während der zwanzig Tage meiner Gefangenschaft keinen Menschen gesehen habe.«
»Glauben Sie,« fragte nun der öffentliche Ankläger, »daß Ihr Schloß Gondreville Auskünfte, Wertpapiere oder Werte enthalten könnte, die eine Durchsuchung seitens der Herren von Simeuse nötig machen konnten?«
»Das glaube ich nicht«, sagte Malin. »Ich halte die Herren in diesem Falle für unfähig, sich durch Gewalt in ihren Besitz zu
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