Eine dunkle Geschichte (German Edition)
nur den Kaiser«, sagte sie; besiegt von der Gutmütigkeit, mit der der Mann des Schicksals diese Worte gesprochen hatte, die die Begnadigung durchblicken ließen.
»Sind sie unschuldig?« fragte der Kaiser.
»Alle!« entgegnete sie begeistert.
»Alle? Nein, der Flurschütz ist ein gefährlicher Mensch, der meinen Senator umbrächte, ohne Sie um Rat zu fragen ...«
»Oh, Sire,« versetzte sie, »wenn Sie einen Freund hätten, der sich Ihnen geweiht hat, würden Sie ihn im Stiche lassen? Würden Sie nicht ...«
»Sie sind ein Weib«, unterbrach er sie mit einem Anflug von Spott.
»Und Sie ein Mann von Eisen!« entgegnete sie mit begeisterter Härte, die ihm gefiel.
»Dieser Mensch ist von der Justiz des Landes verurteilt«, fuhr er fort.
»Und doch unschuldig.«
»Sie Kind!« sagte er.
Er nahm Fräulein von Cinq-Cygne bei der Hand und führte sie auf die Anhöhe.
»Da,« sagte er mit der ihm eignen Beredsamkeit, die die Feiglinge zu Helden verwandelte, »da sind dreihunderttausend Menschen; sie sind auch unschuldig! Wohlan, morgen werden dreißigtausend Menschen tot sein, gestorben für ihr Land! Bei den Preußen wird vielleicht ein großer Mechaniker, ein Ideologe, ein Genie hingemäht. Auf unsrer Seite werden wir sicherlich große, unbekannte Männer verlieren. Kurz, vielleicht sehe ich meinen besten Freund sterben! Werde ich Gott anklagen? Nein, ich werde schweigen. Lassen Sie sich sagen, Fräulein, man muß für die Gesetze seines Landes sterben, wie man für seinen Ruhm stirbt«, sagte er, sie zu der Hütte zurückführend. »Gehen Sie, kehren Sie nach Frankreich zurück«, sagte er, den Marquis anblickend. »Meine Befehle werden Ihnen folgen.«
Laurence glaubte an eine Verwandlung der Strafe für Michu, und im Überschwang ihrer Dankbarkeit beugte sie das Knie und küßte dem Kaiser die Hand.
»Sie sind Herr von Chargeboeuf?« fragte der Kaiser, den Marquis bemerkend.
»Jawohl, Sire.«
»Haben Sie Kinder?«
»Viele.«
»Warum sollten Sie mir nicht einen Ihrer Enkel geben? Er könnte einer meiner Pagen werden...«
»Ach, da kommt der Unterleutnant hervor«, dachte Laurence. »Er will für seine Gnade bezahlt sein.« Der Marquis verneigte sich, ohne zu antworten. Zum Glück stürzte General Rapp in die Hütte.
»Sire, die Gardekavallerie und die des Großherzogs von Berg können nicht vor morgen Mittag zu uns stoßen.«
»Einerlei«, sagte Napoleon, sich an Berthier wendend. »Es gibt auch für uns Stunden der Gnade. Wir wollen sie wahrnehmen.«
Auf einen Wink zogen sich der Marquis und Laurence zurück und stiegen wieder in den Wagen. Der Brigadier brachte sie auf ihre Straße und führte sie bis zu einem Dorfe, wo sie die Nacht verbrachten. Am nächsten Morgen entfernten sie sich vom Schlachtfeld unter dem Donner von achthundert Kanonen, der zehn Stunden lang rollte, und unterwegs erfuhren sie den erstaunlichen Sieg von Jena. Acht Tage darauf erreichten sie die Vorstädte von Troyes. Durch Befehl des Oberrichters, der dem Kaiserlichen Staatsanwalt am Amtsgericht von Troyes übermittelt ward, wurden die Edelleute bis zur Entscheidung des Kaisers und Königs gegen Bürgschaft freigelassen; aber gleichzeitig wurde der Hinrichtungsbefehl für Michu durch die Staatsanwaltschaft ausgefertigt. Diese Befehle waren am gleichen Morgen eingetroffen. Gegen zwei Uhr begab sich Laurence im Reisekleid ins Gefängnis. Sie erhielt die Erlaubnis, bei Michu zu bleiben, an dem man die traurige Zeremonie der letzten Ankleidung vornahm. Der gute Abbé Goujet, der gebeten hatte, ihn zum Schafott begleiten zu dürfen, hatte Michu soeben die Absolution erteilt. Der war verzweifelt, in der Ungewißheit über das Schicksal seiner Herren sterben zu sollen. Als daher Laurence erschien, stieß er einen Freudenschrei aus und rief: »Ich kann sterben!«
»Sie sind begnadigt, ich weiß nicht, unter welchen Bedingungen,« sagte Laurence zu ihm, »aber sie sind es. Auch für dich, mein Freund, habe ich trotz ihrer Ratschläge alles versucht. Ich hielt dich für gerettet, aber der Kaiser hat mich als huldvoller Herrscher getäuscht.«
»Es stand dort oben geschrieben,« sagte Michu, »daß der Wachhund an der gleichen Stelle sterben sollte wie seine früheren Herren!«
Die letzte Stunde verging rasch. Im Augenblick des Aufbruchs wagte Michu keine andre Gunst zu erbitten, als daß er Fräulein von Cinq-Cygne die Hand küssen dürfte, aber sie hielt ihm ihre Wangen hin und ließ sich von diesem edlen Opfer keusch umarmen.
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