Eine dunkle Geschichte (German Edition)
Michu weigerte sich, den Henkerkarren zu besteigen.
»Unschuldige müssen zu Fuß gehen!« sagte er.
Er ließ es nicht zu, daß der Abbé Goujet ihm den Arm reichte; würdig und entschlossen ging er bis zum Schafott. In dem Augenblick, da er sich auf das Brett legte, bat er den Scharfrichter, ihm den Rock zurückzuschlagen, der ihm den Hals verdeckte, und sagte:
»Mein Anzug gehört Ihnen; zerschneiden Sie ihn nicht.«
Die vier Edelleute hatten kaum Zeit, Fräulein von Cinq-Cygne zu sehen. Eine Ordonnanz des Generals, der den Wehrkreis befehligte, brachte ihnen die Patente als Leutnants in dem gleichen Kavallerieregiment, mit dem Befehl, sofort zur Ersatzschwadron ihres Truppenteils in Bayonne zu stoßen. Nach herzzerreißendem Abschied, denn alle ahnten die Zukunft, kehrte Fräulein von Cinq-Cygne in ihr verödetes Schloß zurück.
Beide Brüder fielen zusammen unter den Augen des Kaisers bei Sommo Sierra, einer den andern verteidigend; beide waren schon Schwadronchefs. Ihr letztes Wort war: »Laurence, cy meurs!«
Der ältere Hauteserre fiel als Oberst bei dem Angriff auf die Schanze an der Moskwa, wo sein Bruder an seine Stelle trat. Adrien wurde in der Schlacht bei Dresden zum Brigadegeneral ernannt und schwer verwundet; er konnte nach Cinq-Cygne zurückkehren, um sich pflegen zu lassen. Um diesen Überrest der vier Edelleute zu retten, die sie eine Weile um sich gesehen, heiratete die Gräfin ihn im Alter von zweiunddreißig Jahren; aber sie bot ihm ein verwelktes Herz, das er annahm: Liebende zweifeln an nichts oder an allem.
Die Restaurationszeit fand Laurence ohne Begeisterung; für sie kamen die Bourbonen zu spät. Trotzdem konnte sie sich nicht beklagen. Ihr Gatte ward zum Pair von Frankreich mit dem Titel eines Marquis von Cinq-Cygne und 1816 zum Generalleutnant ernannt. Für die hervorragenden Dienste, die er damals leistete, erhielt er das blaue Ordensband.
Michus Sohn, für den Laurence wie eine Mutter sorgte, wurde 1827 Advokat. Nachdem er seinen Beruf zwei Jahre ausgeübt hatte, wurde er zum Hilfsrichter am Gerichtshofe von Alençon ernannt, von wo er 1829 als Staatsanwalt an den Gerichtshof von Arcis versetzt wurde. Laurence, die Michus Kapitalsanlagen überwacht hatte, übergab dem jungen Manne am Tage seiner Großjährigkeit eine Verschreibung auf zwölftausend Franken Staatspapiere; später verheiratete sie ihn mit dem reichen Fräulein Girel aus Troyes. Der Marquis von Cinq-Cygne starb im Jahre 1829 in den Armen Laurences, seiner Eltern und seiner Kinder, die ihn anbeteten. Bei seinem Tode hatte noch niemand das Geheimnis der Entführung des Senators ergründet. Ludwig XVIII. weigerte sich nicht, diese unglückliche Kriminalsache wieder gutzumachen, aber er blieb der Marquise von Cinq-Cygne gegenüber stumm über die Ursachen der Katastrophe, und sie hielt ihn fortan für mitschuldig.
Schluss
Der verstorbne Marquis von Cinq-Cygne hatte seine Ersparnisse sowie die seiner Eltern dazu verwandt, ein prachtvolles Stadthaus in der Rue du Faubourg du Roule zu erwerben, das er in das beträchtliche, zur Erhaltung seiner Pairswürde begründete Majorat einbezog. Die schmutzige Sparsamkeit des Marquis und seiner Verwandten, die Laurence oft Kummer machte, fand darin ihre Erklärung. Und so verbrachte die Marquise, die auf ihrem Landgut lebte, um für ihre Kinder zu sparen, seit dieser Erwerbung ihre Winter um so lieber in Paris, als ihre Tochter Bertha und ihr Sohn Paul in ein Alter kamen, wo ihre Erziehung die Pariser Hilfsmittel erforderte. Frau von Cinq-Cygne ging wenig in Gesellschaft. Ihrem Gatten war der Gram, der im Herzen dieser Frau wohnte, nicht unbekannt geblieben, aber er entwickelte das geistvollste Zartgefühl für sie und starb, nachdem er sie allein auf Erden geliebt hatte. Dies edle, eine Zeitlang verkannte Herz, dem aber die hochherzige Tochter der Cinq-Cygnes in den letzten Jahren alle Liebe, die sie empfing, erwiderte, dieser Gatte wurde schließlich völlig glücklich. Laurence lebte vor allem im Familienglück. Keine Dame in Paris wurde von ihren Freunden mehr geliebt und geachtet. Sie zu besuchen, ist eine Ehre. Sanft, nachsichtig, geistreich und vor allem einfach, gefällt sie den erlesenen Seelen und zieht sie trotz ihrer schmerzvollen Haltung an, und dies Gefühl eines heimlichen Inschutznehmens erklärt vielleicht die Reize ihrer Freundschaft. Ihr Leben, das in ihrer Jugend so kummervoll war, ist am Lebensabend heiter und schön. Man kennt ihr Leiden. Niemand hat sie
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