Eine Ehe in Briefen
ergangen? Ich hoffe gut. Es wäre schön, wenn Du Dich wenigstens etwas besser fühltest. Wie Sascha zu sagen pflegt: Paris n’ a p[as] é[té] b[ˆati] e[n] u[n] j[our] 169 .
Wenn Du doch nur ruhig auf Besserung warten könntest, wissend und fest überzeugt, daß sie kommen wird.
Mascha ist wieder ganz gesund. Ich fühle, daß ich ein Tief durchmache: Ich kann nicht mehr arbeiten wie noch vor kurzem, als ich mich vor Dir lobte. Ich warte gelassen darauf, daß die Kraft zurückkommt und bin bemüht, nicht jenes, das ich in besserer Verfassung schrieb, zu verderben.
[...]
Ich küsse Dich und Sascha und Mischa und erwarte heute einen Brief.
Dein L.T.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
19. November 1898.
[Moskau]
Deine Briefe sind so zärtlich und schön und halfen mir in den letzten Tagen, denn ich spürte wenigstens von Ferne Deine Anteilnahme. Mir ging es in diesen Tagen sehr schlecht. An jenem Abend, als ich Dir zum letzten Mal schrieb, blieb Mischa wieder bis 3 Uhr in der Nacht aus; am Sonntag, als wir nicht hier waren, blieb er die ganze Nacht aus; er gab zu, daß er bei einem Trinkgelage war, zu dem er eingeladen worden war, und so geht es jeden Tag. [...] Ich beschloß, den Direktor aufzusuchen und um Aufnahme ins Internat zu bitten. Er war, wie stets, sehr klug, mitfühlend und vorsichtig. Er sagte: » Vous jouez gros jeu, comtesse « 170 , womit er andeuten wollte, daß Mischa dann das Lyzeum gänzlich verlassen könne.
[...]
Sascha ist seit der Rückkehr aus Jasnaja mißmutig und niedergedrückt, ihr Bein schmerzte, nun ist es besser, und sie ist wieder ganz artig. Ich bleibe zu Hause, nähe Saschas Bluse um, schreibe, spiele ein wenig Klavier.
[...]
Es tut mir so leid, liebster Freund, daß Deine Inspiration Dich verlassen hat, und es quält mich die Frage, ob nicht ich und mein Aufenthalt in Jasnaja der Grund dafür sind? Was soll ich denn tun, ich bin nun einmal ein Mensch mit Schwächen und Bedürfnissen, und Du kannst mich nicht einfach fallenlassen, denn meine Bestimmung ist es, Deine Frau zu sein und Dir eine Hilfe und bisweilen auch Last zu sein.
Lebe wohl, liebster Freund, hiermit schließe ich. Ich küsse Dich. Achte auf Deine Gesundheit.
Deine Sonja Tolstaja.
1899
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
26. September 1899, 5 Uhr am Nachmittag.
[Moskau]
Ihr Lieben alle, Familie und Freunde, voller Schmerz habe ich mich von Euch getrennt.
[...]
Als ich in Moskau ankam, war Mischa nicht zu Hause. Dies beunruhigte mich sehr. Ich fand ein Telegramm, der Großfürst wünsche mich um halb 11 zu sehen, um 11 besuche er die Messe 171 . Ich kleidete mich um, trank den Kaffee, den die Njanja mir zubereitet hatte, nahm eine Droschke und fuhr los.
Der Großfürst empfing mich unverzüglich. Er war außerordentlich liebenswürdig, erkundigte sich nach der Gesundheit Tanjas, Lew Nikolajewitschs und der meinigen, sprach über die Büste von Trubezkoj 172 , über Mischa, den er gesehen habe, und war mit allem einverstanden, sagte sogar noch, wenn ich noch weitere Anliegen habe: »Ich stehe stets zu Ihren Diensten, Gräfin, und einen Ihrer Wünsche zu erfüllen würde mich glücklich machen.«
[...]
Nach dem Besuch beim Großfürsten fuhr ich zum Kommandeur der Einheit und traf ihn auch an. Er war sehr liebenswürdig, riet mir, wie ich weiter vorzugehen habe, und rief den diensthabenden Schreiber, der alle Gesuche schrieb, die aber noch nicht eingegeben werden können, solange die Verfügung des Großfürsten noch nicht eingegangen ist. Jetzt muß ich zunächst noch eine Notiz mit meiner Bitte an den Großfürsten senden.
Auf dem Weg zum Essen bei meinem Bruder werde ich dieses Schreiben im Haus des Großfürsten abgeben.
Während ich unterwegs war, kehrte Mischa nach Hause zurück. Er war mit seinem Freund Kusnezow auf dem Land aufder Jagd, hatte 3 Waldschnepfen erlegt, war bester Laune, fiel mir um den Hals, küßte mich und bedankte sich sehr für meine Bemühungen. Dies ist alles. Ich weiß noch nicht, wann ich alles hier zu Ende bringen werde. [...] Ich hoffe, es dauert nicht länger als 3 oder 4 Tage. Ich küsse alle zärtlich.
S. Tolstaja.
V. Das letzte Jahrzehnt
Seit Juli 1898 arbeitet Tolstoj an seinem Roman Auferstehung. Die Kompromißlosigkeit, mit der Tolstoj die herrschende Ordnung in seinem Roman anklagt, erschüttert die Gesellschaft. Die Machthaber bereiten ihren Gegenschlag gegen den »Verkünder einer neuen Irrlehre« vor. Im
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