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Eine Ehe in Briefen

Eine Ehe in Briefen

Titel: Eine Ehe in Briefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja , Lew Tolstoj
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ich schon ganz und gar tumb.
    Gleichwohl habe ich, nachdem ich aufgestanden war, Andrjuscha unterrichtet, versuche unentwegt, seine Entwicklung zu fördern, was auch gelingt, denn er ist begabt. Dann nähte ichund beaufsichtigte Ljolja bei seinen Hausaufgaben, da die Madame seit heute morgen unterwegs ist. [...] Mascha ist heute nicht mehr im Bett, sie ist ganz gesund. Auch die Kleinen sind wohlauf. [...] Du wirst dieses Mal wohl lange in Jasnaja bleiben. Ich fürchte nur, daß man dort schlecht auf Deine Ernährung und Deine Temperatur achtet, und Du selbst sorgst ja nicht für Dich. Doch bitte verstehe, daß Du anderen mehr Sorge und Verzweiflung bereitest, wenn du krank bist, als wenn Du Weißbrot, Hühnchen und Bouillon für Dich kaufst.
    Unser Leben wird nunmehr geruhsam sein. [...] Tanja will die Malschule besuchen, und ich will mich viel um die Kinder kümmern. Der schwierigste ist Ljolja. Söhne in diesem Alter sollten in Obhut des Vaters oder der Schule sein. Uns aber, den Frauen, ist es eine Qual mit ihnen, und das Resultat unserer Bemühungen bleibt doch gleich Null. Er wird immer fauler und frecher, hört auf niemanden. [...]
    Lebe nun wohl; ich schreibe Dir jeden Tag, erhalte auch jeden Tag von Dir einen Brief und wäre überaus traurig, erhielte ich einmal keinen.
    S.
    [Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
    [31. Januar 1884], Dienstag, 11 Uhr des Abends.
    [Jasnaja Poljana]
    Ich fürchte, mein gestriger Brief war Dir unangenehm. Ich muß vom Kohlendunst benebelt gewesen sein, als ich schrieb. Heute fühle ich mich sehr gut, und es liegt auch kein Dunst in der Luft. [...] Gestern habe ich viel zu viel gegessen. Nik[olaj] Mich[ailowitsch] 84 kocht üppig, und ich halte mich nicht zurück. Heute las ich mit großem Vergnügen und Nutzen Montaigne 85 und lief Ski. Bin sehr müde, fühle mich aber großartig. Den ganzen Abend habe ich Stiefel für Ag[afja] Mich[ailowna] genäht. Mitrofan 86 bringt es mir bei und hilft mir 87 . DmitriFjod[orowitsch Winogradow] und Ag[afja] Mich[ailowna] saßen dabei und lasen aus den Heiligenlegenden vor. Ich habe noch nicht angefangen zu arbeiten, denn ich möchte nicht beginnen, um dann wieder damit aufzuhören. Doch das Sujet des Volksstücks nimmt in meinem Geiste Form an.
    Deine Nachricht bezüglich der Meinung des Archimandriten 88 hat mich gefreut. Wenn sie denn den Tatsachen entspricht. – Mir ist es mittlerweile keine Anerkennung wichtiger als die von seiten der Geistlichkeit. Doch ich fürchte, sie ist unmöglich. Ich küsse Dich und die Kinder. Schreibe mir doch etwas ausführlicher, wenn bei Euch alles gut ist. Nimm Dir ein bißchen Zeit – ich bin gewohnt, Deinen seelischen Puls zu fühlen, und wenn ich ihn nicht fühle, fehlt mir etwas.
    [Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
    Sonntag, den 5. Februar [1884].
    [Moskau]
    Drei Briefe habe ich geschrieben, und erst diesen werde ich Dir wohl schicken. [...] Meine Rückenschmerzen sind fast ganz vorüber, nur bei Bewegung und Berührung schmerzt er noch ein wenig. Ich bin natürlich froh, wenn Du am Dienstag nach Moskau kommst, doch ich fürchte, daß die Butterwoche 89 Dir stärker auf der Seele lasten wird als ein ganzer Monat alltäglichen Lebens hier. Wenn Du möchtest, so bleibe dort; wenn ich Glück habe, so werde ich in Deiner Abwesenheit nicht alle meine Kraft verlieren; es ist doch besser so, als Dich hier unzufrieden, mißvergnügt und gänzlich tatenlos sehe. Ich kann mich meiner seelischen Stimmung nicht eben loben. Alles ist mir schwer, nichts bereitet mir Freude, nichts ist so, wie ich es gern hätte. [...]
    Ich habe heute meine Lektüre von La Boétie 90 beendet; voller Interesse las ich über seinen Tod. So würde auch ich gern sterben, d.h. in einem solchen Seelenzustand sein; ich habe immerdas Gefühl, daß ich einen guten und ruhigen Tod haben werde. – Ich liebe das Leben nicht, es scheint mir wertlos. Sittliche Vollendung werde ich niemals erreichen – dies ist mir klar. An oberflächlichen Vergnügungen kann ich mich nicht erfreuen, denn sobald ich dies tue, ruft mich ein gestrenger Kritiker zur Ordnung, der mich damit zur Verzweiflung treibt. – Dies ist der Grund, warum ich mich am Leben nicht erfreuen kann.
    Alle sind wohlauf und betragen sich vernünftig. [...] Dein Bruder Sergej hat mich mit seinen Berichten über Dich beunruhigt, er sagt, Du wolltest nicht zu uns zurückkehren. Warum dies? Lebe wohl; dies ist nun also bis auf weiteres mein letzter

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