Eine Ehe in Briefen
denke doch, ich leide und habe noch solch schreckliche Gedanken, Tag und Nacht läßt mir dies keine Ruhe.«
Ich wurde von Grauen erfaßt, behielt jedoch die Gewalt über mich und beruhigte sie: »Was auch immer jemand in Minuten der nervösen Anspannung oder Erregung sagen mag, wir werden auf ihn achtgeben, Ljowotschka wird ihn auf den rechten Weg des Glaubens und der Religion zu bringen bestrebt sein.« [...]
Wann ich abreisen werde, weiß ich noch nicht. Ich wollte am Mittwoch fahren, doch jetzt sehe ich, daß dies nicht möglich sein wird: Jede Minute kann die Agonie eintreten. [...] Welches Glück, daß ich sie noch lebend angetroffen habe! [...]
Euch allen scheint es gut zu gehen, wie immer, wenn ich nicht bei Euch bin. Gebt aber acht, denn es ist schon kalt im Herbst, und Ihr habt Eure Pelze nicht in Jasnaja. [...] Warum hat sich denn Papá an die Sprichwörter 82 gemacht? Und unser Drama 83 ?
[...] Ich küsse Euch alle, Ihr meine Lieben, und grüße Madame Seuron und die Miss. Lange noch werde ich Euch nicht sehen. Doch diese Reise mußte sein.
11. November 1886.
[Lew Nikolajewitsch Tolstoj an Sofja Andrejewna Tolstaja]
[10. November 1886]
[Jasnaja Poljana]
Bei uns ist alles beim alten, beim besten. Heute kam Stachowitsch 84 hier an. Mit ihm werde ich das Drama fertigstellen. Die Mädchen haben begonnen, es abzuschreiben, damit er es lesen kann. Sie werden aber vermutlich [...] nicht fertig damit, denn ich habe noch heute morgen Änderungen vorgenommen. [...] Gebe Gott, daß es Mamá bessergeht. Sollte es so sein, wirst Du immerhin die Städte am Ufer des Schwarzen Meeres besichtigen können. [...] Fast hätte ich es vergessen: Ilja schreibt, S[ofja] A[lexejewna] 85 habe nichts dagegen einzuwenden, wenn er vom Gymnasium abgehe, die junge Sofja 86 heiße es ebenfalls gut. [...] Ich küsse Dich und Mamá und Deine Brüder.
1887
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
[3./4. Januar 1887]
[Moskau]
Soeben bin ich mit den Kleinen und Mascha von den Obolenskis zurückgekehrt, wo sie zur Klavierbegleitung tanzten, und erhielt zwei Telegramme: eines von Sawina 87 , das ich beilege, und eines von Euch. Beide haben mich sehr aufgewühlt, besonders das der Sawina. Schrecklich gern würde ich nach Petersburg fahren, um dort den Kampf aufzunehmen. Euer Telegramm hat mich aufgewühlt, weil ich nicht weiß, wo ich jetzt eine Abschrift des Stückes hernehmen soll 88 . [...] Ob es mir gelingt, eine bis zum Besuch der Sissowa 89 hier aufzutreiben, kann ich nicht versprechen. Wenn nicht, schreibe ich es selbst noch einmal ab und schicke es ihr. [...]
Eine Masse von Leuten hat sich bei mir angemeldet, um bei der Lesung Deines Dramas, lieber Ljowotschka, dabeizusein. Ichhatte nur die Tante [Vera] 90 , Mascha Swerbejewa 91 und Warja Nagornowa 92 für Montag eingeladen, um ihnen das Stück vorzulesen. Dies bereitet mir immer großes Vergnügen. Und nun kommen von allen Seiten Bitten, ob man nicht auch kommen dürfe. [...] Die meisten kennen sich untereinander gar nicht. Ich erschrak zunächst, aber dann antwortete ich allen artig: »Nun denn, kommen Sie alle!« Ich weiß nicht, wie ich lesen werde und was dabei herauskommen mag. Ich bin gespannt! Ich enthalte mich, über die Zensurbehörden zu schreiben, denn in mir kocht eine solche Wut, daß ich zu allem, zum äußersten fähig wäre [...]. Morgen schreibe ich einen Brief an Feoktistow und lasse mich selbst überraschen, was ich schreiben werde. Heute jedenfalls hat es keinen Sinn, es würde nur ein böser Brief.
Seid bedankt, daß Ihr mir telegraphiert habt, wie es Euch ergeht und wie Ihr angekommen seid. [...]
Ilja ist friedlich; Ljowa und Mascha sind gut aufgelegt; die Atmosphäre im Haus ist harmonisch. Von Serjosha habe ich nichts gehört.
Ich küsse meinen Ljowotschka und meine Tanja. Es ist bereits Nacht, ich bin müde und schreibe, was mir in den müden Kopf kommt. Doch Ihr werdet bestimmt daraus schlau.
Lebt wohl. Ich schicke alle Briefe mit, die hier seit Eurer Abreise eingegangen sind.
S.T.
3.-4. Januar 1887.
Nachts.
[Sofja Andrejewna Tolstaja an Lew Nikolajewitsch Tolstoj]
6. Januar [1887]. 11 Uhr am Morgen.
[Moskau]
Hier sind alle wohlauf und frohgemut. Meine gestrige Lesung ist vollauf gelungen. Es war sehr heiter und angenehm, da esauf alle einen riesigen Eindruck gemacht hat, besonders auf Lew Poliwanow 93 ; er bebte geradezu am ganzen Körper und sagte: »Das ist derart neu und originell; es ist so eindrucksvoll, daß
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