Eine ehrbare Familie
Minuten lang. Dann sagte er: «Sie kommen besser mit mir, ihr Onkel führt die Geschäfte, bis C zurück ist. Wir brauchen den Ratschlag seiner Dienststelle. Vielleicht kann man das Mädchen irgendwie innerhalb Deutschlands im Auge behalten.»
Sie machten sich mit gemischten Gefühlen auf den Weg zu einer, wie Charles fürchtete, langen und unangenehmen Unterredung mit Giles Railton.
Der Mann, den sie als G und «Adler» kannten, hatte sich am Heiligabend mit Madeline Drew getroffen und ihr die Nachricht übermittelt, daß Berlin ihre Rückkehr wünsche. Ein U-Boot würde sie innerhalb der nächsten zwei Wochen abholen.
Wie gefährlich es auch immer sein mochte, denn es war gut möglich, daß das Mädchen sie an die Deutschen verriet, Giles’ Entschluß stand fest: Madeline Drew mußte England verlassen.
Und so fuhr sie am 5. Januar 1915 von Coventry nach Holyhead und nahm dort die Fähre nach Kingstown in Irland. In Kingstown bestieg sie den Zug nach Galway.
In den Morgenstunden des 8. Januar holte sie in einer einsamen Bucht, sieben Kilometer von Galway entfernt, ein kleines Boot ab, das sie zwei Kilometer weit hinausruderte, um auf das U-Boot zu warten. Am 24. Januar traf Hanna Haas - wie sie jetzt wieder hieß -in Berlin ein. Ihre Gefühle waren in Aufruhr, sie war verängstigt und verwirrt, denn nach dem kurzen Gespräch mit Charles am zweiten Weihnachtstag hatte man ihr nicht mehr erlaubt, ihn allein wiederzusehen.
Einige Wochen später kam, ohne daß sie es wußte, Charles’ Neffe James Railton in der deutschen Hauptstadt an. «Herr Franke» war heimgekehrt und trug als letzte Erinnerung an England zwei Bilder im Gedächtnis: die Abschiedsszene seiner Kusine Mary Anne, die nach Frankreich gefahren war, um dort Verwundete zu pflegen, und den Anblick Caspars im Rollstuhl an einem Schreibtisch in C’s Vorzimmer.
17
Sara schien mit einer unbegrenzten Energie gesegnet zu sein. Während der zweiten Woche im Januar-der Winter in diesem Jahr war bitter kalt - kamen Mildred und Charlotte wie verabredet nach Redhill.
Während der Weihnachtsferien hatten sie ausgiebig erörtert, wie der Besitz am besten zu führen sei. Sara hatte eine Liste von kräftigen jungen Frauen und älteren Männern aus der Umgebung aufgestellt, die etwas von Landwirtschaft verstanden und gern Geld verdienen wollten. Die Railton-Frauen mußten alle bestimmte Aufgaben übernehmen. Charlotte, Mildred und Margaret hatten mit ihren Ehemännern gesprochen, die alle Saras Plan bewunderten. Sogar Denise war einbezogen worden, die Giles davon berichtete. Anfangs hatte Giles sich gefragt, ob nicht irgendeine Intrige dahinterstecke, sich dann aber gesagt, Intrige hin oder her, Saras Idee, die ganze Familie einzuspannen, war zweifellos nicht dumm.
Die Frauen hatten zugestimmt, daß jede im Turnus eine Woche im Herrenhaus verbringen würde, und sie wollten auch Rachel Berry dazu überreden, sich ihnen anzuschließen. «Sie ist schwierig», hatte Sara erklärt, «aber wenn wir sie geschickt behandeln und sie glauben lassen, die ganze Organisation liege bei ihr, kann sie uns von größtem Nutzen sein. Wir brauchen jemand, der mit den Mädchen und alten Männern auf gleicher Ebene reden kann. Sie wird die Peitsche in unserer Hand sein.»
Als Porter an die Tür des Arbeitszimmers klopfte, dachte Sara, er wolle Rachel anmelden.
Aber Porter verkündete mürrisch: «Miss Mary Anne.» Porter hielt nichts von Frauen, die sich um Geschäfte kümmerten.
«Was ist mit ihr?»
«Sie ist hier.»
Mary Anne stand im Türrahmen. «Nur eine Stippvisite. Ich habe vierundzwanzig Stunden Urlaub, und man hat mir gesagt, Mammi sei hier. Ich fahre morgen nachmittag nach Frankreich.»
Mildred stand auf, umarmte ihre Tochter und überschüttete sie mit Fragen. Bekam sie genug zu essen? Genug Schlaf? Wie behandelte man sie? Zum Schluß mußte Mary Anne sie sanft beiseite schieben.
«Mammi, mir geht es gut. Ich wollte nur nicht fahren, ohne auf Wiedersehen zu sagen.»
«Du siehst übermüdet aus. Mußt du denn unbedingt...»
«Nach Frankreich?» Mary Anne lächelte. «Ja, ich muß Befehlen gehorchen wie jeder Soldat.»
Sie setzten sich, und Sara klingelte nach dem Tee. «Wir werden dich ordentlich füttern beim Abendessen, aber erst mal entspann dich, ruh dich aus und bleib bei deiner Mutter.»
Mary Anne warf ihr einen dankbaren Blick zu, der ausdrückte, daß Sara sie weit besser verstand als ihre eigene Mutter.
Rachel Berry kam kurz danach, und die Besprechung
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