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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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nahm ihren Fortgang. Mary Anne ging nach oben, um sich auszuruhen. Aber später gesellte sie sich wieder zu den anderen und erzählte, sie hätte gerade zwölf Stunden Dienst hinter sich.
    «Aber das ist ja Wahnsinn», sagte Charlotte.
    «Krieg ist Wahnsinn.» Mary Anne war nicht mehr das liebenswürdige - wenn auch hartnäckige - wohlerzogene junge Mädchen. «Nur die Männer auf den Schlachtfeldern und die Frauen, die sich um die Verwundeten und Sterbenden kümmern, wissen, was für ein Wahnsinn der Krieg ist.» Und dann sprach sie voller Mitgefühl und Verzweiflung von den grauenvollen Wunden und Verstümmelungen, die sie bereits in England im Lazarett gesehen hatte.
    Nach Mary Annes Ausbruch folgte ein bedrücktes Schweigen, und alle, besonders aber Charlotte, dachten über Caspar und seine Tapferkeit nach.
    Caspar wußte, daß sie einen Agenten oder eine Agentin in Berlin hatten mit dem Decknamen «Peewit». Aber er ahnte nicht, daß «Peewit» sein Vetter James war. Er wußte ebenfalls, daß sich ein anderer Agent vermutlich in Berlin aufhielt, dessen Code «Möwe» lautete. Man erwartete täglich, daß «Möwe» sich mit einem der Leute, die im Britischen Büro in der Schweiz arbeiteten, in Verbindung setzen würde. Dieser Vertrauensmann war als «Ruby» bekannt. Auch «Peewits» Verbindungsmann «Pearl» lebte in der Schweiz. C fragte jeden Tag, ob von «Ruby» oder «Pearl» irgendwelche Nachrichten eingetroffen seien. Aber beide meldeten sich nicht. Caspar beunruhigte das nicht weiter, er hatte arideres im Kopf. Besondere Sorgen bereiteten ihm die Informationen, die von den Beobachtern der Militärzüge kamen.
    «Die Zahlen sprechen für sich, Sir.» Er hatte sich im Rollstuhl in C’s Büro begeben. Auch C benutzte einen Rollstuhl, beide Männer übten sich im Gebrauch ihrer Holzbeine nur in ihrer Freizeit. «Selbst wenn unsere Leute übertreiben, verfrachten die Deutschen siebzig Prozent mehr Truppen und Munition an die Front als wir.»
    C nickte, dringende Berichte waren an das Chefbüro für die Imperiale Defensive und die Regierung gegangen. Es wurde viel darüber geredet, die Waffenproduktion zu erhöhen, aber geschehen war bislang nur wenig.
    «Unsere Truppen werden aufgerieben, wenn sie nicht mehr Munition erhalten», sagte Caspar erregt. «Und wenn die Front zusammenbricht, dann wird der Feind mit den Kanalhäfen leichtes Spiel haben.»
    «Genau das habe ich in meinem Bericht geschrieben.» C’s Tonfall war wütend. «Diese verdammten Narren sind so damit beschäftigt, durch eine Hintertür den Feind einzukreisen, durch die Türkei und so weiter, daß sie nicht sehen, wie schnell der Krieg verloren gehen kann.»
    Ins Vorzimmer zurückgekehrt, blätterte Caspar in der eingegangenen Post. Er nahm ein Blatt aus dem Haufen. Es war eine Nachricht aus der Schweiz. «Peewit» hatte sich mit «Pearl» in Verbindung gesetzt. Ein ausführlicher Bericht würde folgen.
    Gustav Franke stieg am Charlottenburger Bahnhof aus dem Zug, bahnte sich seinen Weg durch die Menge und ließ sich vom diensthabenden Polizisten eine Metallmarke geben. Die Nummer auf der Metallmarke war die des ihm zugeteilten Taxis.
    Er fuhr ins Hotel Minerva Unter den Linden. Herr Franke kehrte nach jahrelanger Abwesenheit nach Berlin zurück. Auf seinem Gesicht zeichneten sich alle sentimentalen Gefühle eines Mannes ab, der in seine Geburtsstadt zurückkommt. Zuweilen lächelte er glücklich, wenn er Wahrzeichen aus seiner Kindheit wiedererkannte.
    Die letzten zehn Jahre hatte Herr Franke in der Schweiz verbracht, seine Familie war aus Gesundheitsgründen dorthin gezogen. Seine Mutter war zwei Jahre nach dem Umzug gestorben, sein Vater im vorangegangenen Jahr. Und nun befand sich Deutschland im Krieg, und es gab keinen Grund mehr, warum Herr Franke nicht in sein Vaterland zurückkehren sollte. Zwar hinderte ihn sein bei einem Skiunfall schwerverletztes Bein, aktiven Militärdienst zu leisten, aber seine theoretischen Kenntnisse der Fliegerei könnten von Nutzen sein.
    Seine Papiere zeigten, daß er keine materiellen Sorgen hatte. Er trug einen Kreditbrief in Höhe von mehreren tausend Mark bei sich - der Hauptteil des Nachlasses seines Vaters. Er besaß keine Verwandten mehr in der Stadt, deshalb würde er ein paar Tage im Hotel Minerva wohnen, bis er eine geeignete Wohnung gefunden hätte. Danach würde er sich bei den Behörden melden und fragen, auf welche Art er seinem Vaterland am besten dienen könne.
    Sogar an diesem feuchten,

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