London.»
Sie stieß einen kleinen Schrei aus, zitterte am ganzen Körper, schlang dann die Arme um ihn und brach in Schluchzen aus. «Gott sei’s gedankt.»
Wolfgang Dimpling, ihr Mann, war als vermißt gemeldet, man nahm an, er sei im vergangenen Herbst in der Nähe von Antwerpen gefallen. Sie besaß keine Freunde in Berlin, ihre Schwiegereltern waren beide tot, und so hatte sie mehrere Briefe nach London geschickt. Hetty Dimpling, geborene Fairchild, hatte auf Antwort gewartet und die Wohnung nur noch verlassen, um Essen einzukaufen. Deutschland hatte ihr den Mann genommen, sie hatte Heimweh und Angst. Das Auftauchen dieses gutaussehenden jungen Mannes erschien ihr daher wie ein Geschenk des Himmels.
Sie verwöhnte ihn, wie sie sonst nur ihren Mann verwöhnt hatte, bereitete ihm ein heißes Bad, lief in die Läden, um einzukaufen, nachdem sie sich nach seinen Lieblingsspeisen erkundigt hatte. Dann verschwand sie in der Küche und anschließend in ihr Schlafzimmer. Das bei Kerzenlicht servierte Abendessen war köstlich und Hetty Dimpling eine veränderte Frau, lebhaft und anziehend. James war baß erstaunt über diese Verwandlung.
Aber er war noch erstaunter, als sie in der Nacht in sein Zimmer kam, in sein Bett schlüpfte und sich an ihn schmiegte. Ihr Mund war kühl, aber die lang zurückgehaltene Leidenschaft ergoß sich über ihn wie ein Wasserfall nach einer Regenflut.
Es war das erste Mal, daß James Margaret betrog, aber er fühlte weder Schuld noch Scham. Dafür sorgte das traurige Gesicht des Rotschopfs. Sein Auftrag bekam plötzlich eine neue Dimension.
«Er hat Verbindung aufgenommen», sagte Smith-Cumming zu Giles. «Mehr weiß ich auch nicht. Marie Grenot ist nicht erwähnt.»
«Nun, zumindest ist er in Berlin.» Giles’ Stimme klang kühl und unbeteiligt.
C erwähnte den Hinweis auf Giftgas. «Chlor und Phosgen, sagen meine Experten. Die Militärs scheinen nicht sehr beeindruckt.»
«Sie sind nur von dem beeindruckt, was sie mit eigenen Augen sehen. Aber bei Gott, die Zahl der Gefallenen beeindruckt mich. Wissen wir, wo
zu erreichen ist?»
«In einer Wohnung in der Nähe vom Zoo bei dieser Frau. Für uns ist sie ein unbeschriebenes Blatt. Aber ihre Adresse war eine der wenigen, die wir ihm zu bieten hatten. Sorgen Sie sich gelegentlich um Ihre Familie, Railton?»
«Warum sollte ich?»
«Nun, und der Grund seines Berliner Aufenthalts... beide sind schließlich...»
«Railtons. Ganz recht. Sie erfüllen nur ihre Pflicht. Das ist bei uns so üblich. Jeder nach besten Kräften. Patriotismus wird bald aus der Mode kommen, wenn ich mir diese untaugliche Regierung und diesen unfähigen Generalstab ansehe. Es könnte sein, daß wir zum Schluß ein bankrottes Land haben und eine Bevölkerung, die nach neuen Wegen sucht. Es ist sogar durchaus möglich, daß wir unser Weltreich verlieren. Unsere Sorte hat die Warnsignale vernommen, C. Wir mögen die letzte Generation sein, die sie noch hört.»
«Diese verdammten Militärs werden noch eine lange Zeit Vorurteile gegen uns haben. Ich hoffe nur zu Gott, daß sie diese Geschichte mit dem Giftgas ernst nehmen.»
Aber niemand nahm das Giftgas ernst, trotz der Informationen von «Peewit» und später von den französischen Agenten. Sogar die Aussagen der deutschen Kriegsgefangenen, die diese Bedrohung bestätigten, wurde mit einem Achselzucken abgetan. Luftaufklärer berichteten, sie hätten keine neue Waffengattung gesichtet. Die Kommandeure an der Ypern-Front, wo ein Durchbruchsversuch der Deutschen am wahrscheinlichsten war, um zum Ärmelkanal vorzustoßen, warnten ihre Kompagnie- und Zugführer, fügten aber hinzu, daß sie das Gerücht für höchst unwahrscheinlich hielten.
Die Krankenpflegerin Mary Anne Railton sah ihre ersten Gasopfer am 23. April auf dem Hauptverbandsplatz einige Kilometer südlich von Ypern.
Es gab keinen Zweifel darüber, daß eine größere Schlacht im Gang war. Fast eine Woche lang hatte der Boden geschwankt, und Rauchfahnen hatten sich über der Stadt gekräuselt. Mary Anne war am 17. April angekommen. Sie und zwei andere Pflegerinnen waren vom Lazarettzug direkt zum Verbandsplatz kommandiert worden, und Mary Anne dachte, sie sei dem Kriegsschauplatz nun so nahe wie nur irgend möglich.
Inzwischen war sie bereits zur gestählten Veteranin geworden. Sie versorgte die Verwundeten und Sterbenden mit Geschick und Mitgefühl, hatte aber schnell gelernt, sich von dem Grauen und der Wirklichkeit abzuschirmen,