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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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gleiche.
    Frohman schüttelte den Kopf; Sie schlitterten zurück zur Steuerbordseite. Schreie und Rufe erschollen von allen Seiten, das Schiff neigte sich immer schneller zur Seite. Die großen Schornsteine hingen drohend dicht über den Köpfen der Menschen, die im Wasser um ihr Leben kämpften.
    Dick wandte sich um und blickte über das Deck. Frauen kreischten und versuchten, ihre Kinder festzuhalten, Männer halfen ihnen, Schwimmwesten anzulegen. Andere liefen kopflos hin und her und wußten nicht, was sie tun sollten. Nur das Schiff hatte sich augenscheinlich mit seinem Schicksal abgefunden. Der Bug war bereits tief im Wasser, und es sank.
    Frohman legte seine Hand auf Dicks Arm. «Mir fällt im Moment nur Peter Pan ein: » Dick nickte. Er war völlig ruhig.

18
    In Berlin grübelte James über sein Problem nach. Er hatte Hetty noch zweimal in die Wilhelmstraße geschickt, einmal morgens, einmal nachmittags. Sie beschrieb Marie ganz genau. Sie hatte Nummer 36 wieder zu der Zeit verlassen, die Sterkel ihm angegeben hatte. Derselbe Offizier hatte sie begleitet. Das Paar schien sich lebhaft zu unterhalten. Aber sie hielten genau die gleiche Routine ein: Sie gingen die Straße entlang, und er hielt an der Ecke ein Taxi an, das offenbar auf ihn gewartet hatte. Aber irgendwie überzeugte James diese Routine nicht. Er hatte den Eindruck, Marie würde vorgeführt - eine Art Lockvogel. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie selbst zu identifizieren.
    Er ging daher nicht gerade frohen Herzens in die Wilhelmstraße, um sich ein persönliches Urteil zu bilden. Es war in der zweiten Woche im Mai und ein sonniger Morgen.
    Er kam um neun Uhr an, schlenderte die breite, saubere Straße entlang und warf nur einen flüchtigen Blick auf Nummer 36. Was ihn viel mehr interessierte, war, einen Platz zu finden, von dem aus er ungestört beobachten konnte. Als er die Straße zum zweiten Mal in Richtung der Anhaltstraße entlangging, sah er ein kleines Café mit Kuchenauslagen im Schaufenster. Innen saßen ehrbare Matronen, die ihren Morgenkaffee tranken und sich ein Tortenstück zu Gemüte führten.
    Er bog in die Anhaltstraße ein, sein Gang war der eines vielbeschäftigten Manns. «Verhalten Sie sich immer zielbewußt, als wüßten Sie, wohin Sie gingen», hatte man ihm eingeschärft. Er wurde nicht beschattet. Um zehn Minuten vor elf war er wieder vor dem Café. Er blickte durchs Fenster und sah, daß ein Tisch frei war, von dem aus er die Straße übersehen konnte.
    Er trat ein, bestellte einen Kaffee und wartete.
    Sie kam kurz vor elf Uhr fünfzehn aus dem Haus. Er erkannte sie sofort wieder - der gleiche selbstbewußte Gang, der leicht geneigte Kopf. Seltsamerweise empfand er Ärger, als sie sich bei dem Offizier einhängte. Ihm fiel ihre elegante, modische Kleidung auf. «Wenn es Ihnen nicht gelingt, sie aus Deutschland herauszubekommen», hatte C in Giles’ Beisein gesagt, «müssen Sie dafür sorgen, daß sie aufhört zu existieren.»
    Giles war bei ihrem letzten Treffen noch deutlicher geworden. «Du mußt sie töten», hatte er, ohne ein Gefühl zu zeigen, gesagt.
    Das Paar ging wie immer die Straße entlang, der Offizier hob die Hand, das Taxi, das, wie James festgestellt hatte, vor dem Hospiz wartete, fuhr an und hielt vor ihnen.
    Er ging zum Postamt am Zoo und schickte ein weiteres Telegramm in die Schweiz. Am Abend rief er Major Sterkel zu Hause an.
    «Ja, Baron Hellinger, ich habe auf Ihren Anruf gewartet.» Seine Stimme klang rauh, aber herzlich. «Ich habe eine sehr dringende Nachricht für Sie.»
    «Von wem?»
    «Ein Brief wartet auf Sie am verabredeten Platz. Es ist von größter Wichtigkeit.»
    James sagte, er würde den Brief sofort am nächsten Morgen abholen.
    James benutzte die Spiegelung des Schaufensters, um den Eingang des Postamts am Alexanderplatz zu beobachten. Das Glas war auf Hochglanz poliert, und die ausgelegten Bücher waren eine gute Entschuldigung, länger stehenzubleiben. Eine anhaltende Straßenbahn verstellte ihm kurz die Sicht, aber als sie weiterfuhr, sah er, wie Hetty die Stufen hinaufging. Es war mit einem gewissen Risiko verbunden, aber er war fest davon überzeugt, daß sie aus dem Postamt wieder herauskommen und den Brief in ihre Handtasche stecken würde - das vereinbarte Signal.
    Sie hatte eine von Gustav Franke Unterzeichnete Vollmacht bei sich, die sie dazu berechtigte, seine postlagernden Briefe abzuholen.
    Die Minuten vergingen.

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