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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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Eine andere Straßenbahn hielt und fuhr wieder ab, Passanten gingen vorbei, ein Dienstwagen hupte ungeduldig. Dann sah er Hetty herauskommen. Sie steckte einen langen weißen Umschlag in ihre Tasche und blieb eine Sekunde lang auf den Stufen stehen.
    Sie tat zwei Schritte, als der Dienstwagen am Bürgersteig hielt. Vier Männer lösten sich aus der Fußgängermenge, zwei andere kamen aus dem Postamt und stellten sich hinter sie.
    Er wußte, sie würde schnell zusammenbrechen. Zum Glück hatte er ihr nur das Allernotwendigste erzählt. James blieb wie angewurzelt stehen und sah zu, wie man sie in den Wagen schubste. Er konnte nicht in ihre Wohnung zurückgehen, und er hatte niemand in Berlin, dem er vertrauen konnte. Sterkel fiel aus. James Railton, ein Fremder in Feindesland, war einzig und allein auf sich gestellt.
    Die Versenkung der Lusitania sandte Wellen der Empörung durch die Welt. In der Admiralität wartete man voller Ungeduld, ob der Tod von mindestens hundert Amerikanern Präsident Wilson dazu bewegen würde, seine Neutralität aufzugeben.
    Andrew rief Sara an und teilte ihr die schreckliche Nachricht mit. Dann fing er aus Mitleid zu stottern an: «Ich wollte... du solltest es erfahren... bevor die Zeitungen...»
    Sara fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen, sie sagte kaum hörbar. «Ja.»
    «Bist du noch da, Sara?»
    «Ja.»
    «Ich wollte nur, daß du Bescheid weißt... dein Freund, der Amerikaner...»
    «Ja. Ich danke dir, Andrew.» Es war also passiert. War das der eigentliche Grund gewesen, daß sie Dick nicht gleich hatte heiraten wollen - weil sie etwas Derartiges befürchtet hatte? Ihn nicht heiraten! Und nun war es zu spät.
    «Sara?»
    «Ja, Andrew?»
    «Es gibt Überlebende... Ich... ich halte dich auf dem laufenden.»
    «Danke dir.» Sie dachte an Andrews Sohn, der durch eine Seekatastrophe zu einem Riesenbaby geworden war. O Dick, bloß das nicht! Sie legte den Hörer auf, dann ging sie zu Mildred, die in dieser Woche auf dem Gut half.
    Es war Spätnachmittag, und Vera sagte ihr, daß Mrs. Mildred ins Glebe-Haus gegangen sei, um mit Mrs. Berry zu reden.
    Sara bat Natter, den neuen Grauschimmel «Boston» zu satteln. «So schnell wie möglich, Ted.» Es gelang ihr sogar zu lächeln. Martha Crook kam auf dem Feldweg auf sie zu. Sie winkte, aber spürte, daß etwas geschehen war, denn ihr Lächeln erlosch, als sie vor Sara stand.
    «Guten Tag, Miss Sara.» Sie legte ihre Hand auf Saras Arm, als versuche sie, durch die Berührung das Vorgefallene zu verstehen. «Was ist geschehen?»
    Selbst dann brach Sara nicht in Tränen aus. «Die Lusitania ist versenkt worden.»
    «Gott schütze uns!»
    «Erinnern Sie sich an den jungen Amerikaner, der...»
    «Mr. Farthing, ja.»
    «Er war an Bord.»
    Martha Crooks Hand umfaßte fest Saras Unterarm. «Und Sie lieben ihn, Miss Sara, nicht wahr?»
    Sara biß sich auf die Lippen. Hinter Mrs. Crook führte Natter «Boston» aus dem Stall. Martha Crook nickte. «Es geht ihm gut», sagte sie leise. «Mr. Farthing lebt. Ich verspreche es Ihnen.» Sara glaubte ihr nicht.
    Die Sonne senkte sich bereits dem Horizont zu, als Sara zum Glebe-Haus ritt. Er sah dieselbe Sonne heute nachmittag, dachte sie. Wo immer er war, als es geschah, er sah die Sonne, und vielleicht sieht er sie immer noch.
    Sie war seltsam gelassen, als sie das Glebe-Haus erreichte. Mildred hatte sich als erstaunlich tüchtig erwiesen und ging Rachel zur Hand, die Arbeitskräfte einzuteilen. Rachel konnte mit den widerborstigsten Männern umgehen und verlangte von allen höchste Leistungen.
    «Ich hab heute einen Brief von Bob bekommen», sagte Rachel etwas betreten.
    «Na und?»
    «Ihm steht Heimaturlaub zu. Ich glaub, er tät mich schon gern sehen und herkommen. Traut sich aber nicht.»
    Sara lachte trotz ihres Kummers. «Also, sagen Sie ihm schon, er soll herkommen. Vor wem hat er denn mehr Angst, vor mir oder vor Ihnen?»
    «Vor uns beiden, Miss Sara.»
    «Sagen Sie ihm, er soll kein Trottel sein.»
    Sie hatten fast schon das Herrenhaus erreicht, als Sara Mildred von der Versenkung der Lusitania berichtete.
    Vera Bolton wartete an der Eingangstür, um zu sagen, Mr. Charles hätte telefoniert, er müsse Mrs. Mildred dringend sprechen.
    «Er wird von der Lusitania gehört haben», sagte Mildred, «und macht sich Sorgen um dich.»
    Aber Charles hatte aus einem anderen Grund angerufen. Ihm war gesagt worden, Mary Anne sei von einem Patienten attackiert worden. Einzelheiten wisse er nicht. Nur, daß sie

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