Eine ehrbare Familie
gelitten. Vermutlich bin ich überlastet, dachte er. Seine Arbeit in der Admiralität machte ihm auch seelisch schwer zu schaffen. Im Moment ließ ihn der Gedanke an Dick Farthing auf der Lusitania nicht mehr los. Und dabei kannte er ihn kaum. Aber Sara kannte ihn, und daher war er nervös und gereizt, seit das Schiff den Hafen von New York verlassen hatte.
Am Freitag morgen, den 7. Mai, legte sich seine Sorge ein wenig, als er eine Nachricht des britischen Marinestützpunktes Queens-town las: U-Boote aktiv im südlichen Teil des irischen Kanals. Zuletzt gesichtet 20 Meilen südlich Coningheg-Leuchtturm. Vergewissern Sie sich, daß Lusitania diese Warnung erhält. Was immer für Intrigen sich innerhalb der Admiralität auch abspielen mochten, die Leute an Ort und Stelle taten ihr Bestes, um den großen Ozeandampfer zu schützen.
Die Lusitania nahm jetzt Kurs auf Land und peilte den Old Head von Kinsale an.
Dick saß zusammen mit Charles Frohman im Speisesaal der ersten Klasse. Sie hatten absichtlich das zweite Mittagessen gewählt. Während der letzten Tage waren alle Passagiere nervös gewesen, und am vergangenen Abend hatte Kapitän Turner bekanntgegeben, daß sie sich der Gefahrenzone näherten. Er hatte die Wachen verdoppelt, Verdunklung angeordnet und die Rettungsboote klargemacht. «Nur eine Vorsichtsmaßnahme», erklärte er den Passagieren. «Wenn wir morgen die Kriegszone erreichen, werden wir von der britischen Marine geschützt.»
«Schauen Sie, Dick, man kann schon Land sehen, wird wohl Irland sein.» Frohman unterbrach sich, um zwei Lammkoteletts zu bestellen. «Ich war gerade auf dem B-Deck. Wir scheinen eine Rechtswendung zu machen, um an der Küste entlang zu fahren. Was ist das, Backbord oder Steuerbord?»
«Steuerbord», sagte Dick grinsend.
Das Orchester spielte «An der schönen blauen Donau», und Frohman schlug mit der Hand den Takt zur Musik. «Ich vermute, nun kann nichts mehr passieren. Fahren Sie direkt nach London?»
«Nein, ich mache zuerst einen kleinen Abstecher.» Dick hatte vor, nach Haversage zu fahren. Er wollte gerade weitersprechen, als ein Zittern durch das Schiff lief und sie einen dumpfen Aufprall vernahmen. Es klang nicht wie eine Explosion, mehr wie ein Rumpeln.
Einige Sekunden zuvor hatte Walter Schweiger, der Kommandant des U-20, das dem großen, vierschlotigen Dampfer seit ein Uhr früh gefolgt war, mit ruhiger Stimme den Befehl gegeben, einen seiner letzten drei kostbaren Torpedos abzufeuern. Es war genau zehn Minuten nach zwei an einem schönen, sonnigen Nachmittag.
«Was zum Teufel war das?» fragte Frohman.
Eine Sekunde später folgte ein polterndes Geräusch, der ganze Speisesaal erzitterte, und der Boden rutschte ihnen unter den Füßen weg.
«Wir sind getroffen worden!» Dick schnellte hoch.
«Die Lammkoteletts können wir wohl vergessen.»
Sie brauchten weniger als drei Minuten, um das B-Deck zu erreichen. Und während der ganzen Zeit merkten sie, daß das Deck unter ihnen fortglitt.
Das große, stattliche Schiff hatte starke Schlagseite nach Steuerbord. Eine dicke Rauchwolke ballte sich über dem ersten Schornstein. Das Schiff fuhr noch mit eigener Kraft, aber die Schlagseite nahm bedenklich schnell zu.
Dann geschah alles mit unheimlicher Geschwindigkeit. Als Dick und Charles Frohman die Steuerbordreling erreichten, sahen sie unter sich Männer und Frauen im Wasser. Rettungsboote wurden hinuntergelassen, klatschten aufs Wasser, und sie mußten zusehen, wie eins davon die Menschen im Wasser erschlug.
«Auf die andere Seite!» Dick ergriff Frohmans Arm, und sie versuchten mühsam, an dem schiefen Deck hochzukriechen.
Aber an der Backbordseite sah es noch schlimmer aus. Die schiefe Lage des Schiffs erschwerte das Klarmachen der Rettungsboote. Sie erreichten eins der Boote und waren im Begriff einzusteigen, als der Befehl des Kapitäns kam, daß keine weiteren Rettungsboote mehr hinuntergelassen werden durften.
Zu seinem Erstaunen sah Dick, wie ein junger Offizier den Revolver zog und der Besatzung zurief: «Zum Teufel mit dem Kapitän! Der erste, der meinem Befehl zuwiderhandelt und sich weigert, die Rettungsboote loszumachen, hat eine Kugel im Kopf.»
Noch während er schrie, sah Dick voller Entsetzen, wie ein Matrose die Befestigungspinne löste. Das Boot fiel in die Tiefe, prallte auf der Schrägseite des Schiffs auf, glitt quietschend nach unten und zermalmte die Leute, die bereits im Wasser waren. Weiter nach achtern geschah das
Weitere Kostenlose Bücher