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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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mit vollendeter Leichtigkeit Menschen umzubringen.
    Alles schien bei ihm möglich. Er hatte die körperlichen Kräfte, die Erfahrung als Seemann, kannte alle Länder der Welt, sprach Französisch, Italienisch, Schwedisch und Englisch wie ein Einheimischer. Wie kam es, fragte sich Steinhauer, daß ein so intelligenter Mann zwei Seelen in seiner Brust vereinte? Einerseits war er ein tüchtiger Matrose, andrerseits ein betrunkener Hurenbock und Raufbold.
    In einem momentanen Anfall von Zuneigung zu diesem verwundeten Riesen fragte er, ob er etwas für ihn tun könne.
    «’ne Frau!» Ulhurt schien erstaunt, daß Steinhauer nicht von selbst auf die Idee gekommen war. «Am liebsten ’ne Schwarze. Schwarz ist zur Zeit meine Lieblingsfarbe, weil ich um mein Bein traure.»
    Noch am gleichen Abend brachte einer von Steinhauers Vertrauensleuten eine große, gutaussehende Mulattin in die Klinik. Sie kam vom Alexanderplatz in einer Kutsche mit verhängten Fenstern und kehrte in den frühen Morgenstunden dorthin zurück mit genug Geld, um sich zwei Ruhetage zu gönnen. Der Krankenwärter berichtete Steinhauer, daß der Patient Fortschritte mache und sich nach der nächtlichen Verlustierung doppelt Mühe gegeben habe.
    Sechsunddreißig Stunden später kehrte Steinhauer in die Klinik zurück und suchte Ulhurt in seinem Zimmer auf. Der riesige Maat lag auf seinem Bett, und Steinhauer, voll von hinterlistigen Plänen, zog sich einen Stuhl heran.
    «Ihre Arbeit beginnt», sagte er leise, als könne ihn jemand belauschen.
    «Englische Matrosen?» Ulhurt grinste bösartig.
    «Leider nein. Noch nicht. Etwas ist passiert, und Sie sind der einzige Mann, der damit umgehen kann.»
    Ulhurt starrte ihn mit ausdruckslosen Augen an.
    «Wir beide», fuhr Steinhauer fort, «leben in einer zwielichtigen Welt, mein Freund. Geheimnisse werden zuweilen nicht gewahrt. Wir haben einen Agenten hier in Berlin - der Name tut nichts zur Sache.» Er warf einen nervösen Blick zur Tür. «Dieser Agent ist ein Verräter, er hat für uns gearbeitet, während er vorgab, für ein anderes Land tätig zu sein. Wir selbst haben das so arrangiert, so daß wir der fremden Macht falsche Informationen zukommen lassen konnten...»
    «Wer ist die fremde Macht?»
    «England.»
    Der Maat grinste, und Steinhauer fuhrt fort: «Es hat sich aber herausgestellt, daß dieser Agent nützliche und korrekte Informationen an die Engländer weitergegeben hat.»
    «Ja, und?»
    Steinhauer sah wieder vorsichtig um sich. Er wirkte ausgesprochen aufgeregt. «Es war mein Fehler. Falls der Agent verhört wird, bin ich geliefert. Mehr brauche ich wohl nicht zu sagen.»
    «Sie sitzen in der Scheiße, wenn ich nicht...» Der Maat lächelte vergnügt.
    «Ja, so kann man es auch formulieren.» Steinhauer nickte. «Die Person muß zum Schweigen gebracht werden. Meine Chefs haben bereits Verdacht geschöpft. Der Agent lebt in einer kleinen, billigen Wohnung über dem Pschorrbräu - der Bierkneipe an der Ecke Friedrich- und Behrenstraße, Nummer 16, Wohnung 4 im zweiten Stock. Man kann sie durch die Kneipe erreichen, aber es gibt auch einen Privateingang in der Behrenstraße. Kennen Sie die Gegend?»
    «Das kann man wohl sagen.» Ulhurts Augen glitzerten. «Sie wollen, daß ich...»
    «Sie werden eine gute Belohnung erhalten, wenn Sie schnell, tüchtig - und lautlos handeln. Gehen Sie um sieben Uhr in die Wohnung, der Agent erwartet einen meiner Leute. Und dann...»
    «Den Rest überlassen Sie mir.»
    Steinhauer faltete nervös die Hände. «Es gibt eine Schwierigkeit.» Er zögerte. «Der Ort wird überwacht. Man darf Sie beim Rein- und Rausgehen nicht erkennen. Aber wir haben Sie ja genug gedrillt...»
    «Keine Sorge. Sieben Uhr.»
    «Ich werde hier auf Ihre Rückkehr warten.»
    Um halb sieben Uhr abends humpelte Ulhurt in die gerammelt volle Kneipe in der Friedrichstraße. Alle Tische waren besetzt, und hübsche Kellnerinnen mit vier, manchmal fünf Bierkrügen in der Hand stapften wie nach einem komplizierten Plan durch die engen Gänge.
    Ulhurt fand einen freien Stuhl und bestellte sich ein Pils. Er beobachtete eine halbe Stunde lang seine Umgebung, ganz besonders den Türbogen, der zur Treppe und somit zu den Wohnungen führte.
    Um fünf vor sieben zahlte er für sein Bier, stand auf und ging zur Treppe. In den wenigen verbleibenden Minuten fand er den anderen Ausgang - einen schlecht beleuchteten Korridor, von dem aus Treppen zu der Tür in der Behrenstraße führten.
    Es gab nur vier

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