Eine ehrbare Familie
persönlichen Auftrag des Kaisers handelte, und zweitens bat er um Geld. Steinhauer erklärte dem Kaiser, daß die Rekrutierung und Ausbildung eines hochspezialisierten Geheimagenten äußerst teuer sei. Der Kaiser stimmte zu. Er sah auch sofort ein, daß Steinhauer unmöglich den Fonds des Auswärtigen Amtes und noch weniger den des nach Vormacht strebenden Militärs in Anspruch nehmen konnte.
Auf diese Weise hatte sich Steinhauer eine unabhängige Machtposition erobert, was ihn in die Lage versetzte, einem gewissen Hans-Helmut Ulhurt in der Klinik in Neuweißensee die notwendige, sorgfältige Pflege zukommen zu lassen. Er kaufte einfach die Klinik und stellte Personal seiner Wahl an.
Wenn er in Berlin war, versuchte Steinhauer, jeden zweiten Tag der Klinik einen Besuch abzustatten. Sein Ziel war, den Maat vollständig von sich abhängig zu machen.
Bald stellte er zwei Dinge fest: Ulhurt konnte freundlich und zugänglich sein und mit viel Sachkenntnis über eine Menge Dinge reden; aber er war auch voll aufgestauten Ärgers, und dann konnte er gefährlich wie eine Schlange sein. Man würde ihn trainieren müssen wie einen intelligenten Hund, der seine Beute aufstöbert und tötet und Nachrichten apportiert.
Nach seiner Rückkehr aus London erklärte Steinhauer dem Maat Ulhurt, er müsse eine Spezialausbildung absolvieren. Ulhurt wußte bereits gut Bescheid über drahtlose Telegrafie, aber nicht gut genug. Im übrigen müßte er lernen, mit Sprengstoff umzugehen, und einen Kurs in Chiffrieren nehmen.
«Sobald Sie wieder völlig gesund und beweglich sind, werde ich Sie auf eine Seereise mitnehmen.»
«Um mir wieder einen echten Seemannsgang anzugewöhnen?» Der Maat verzog sein Gesicht zu einem Grinsen.
«So ungefähr. Es gibt Leute und Länder gleich hinter dem Horizont, mit denen Sie sich vertraut machen müssen. Nennen wir es: Erfahrungen sammeln.»
«Nennen Sie es, wie Sie wollen.» Ulhurt erhob sich vom Bett, ging ohne Stock zur Tür und wieder zurück.
«Bald werden Sie neue Ausbilder hier haben.» Steinhauer stand noch im Begriff, die Kurse für Ulhurt zusammenzustellen. «Verschiedene Leute werden Ihnen alle notwendigen Fertigkeiten beibringen, und überdies werde ich Ihnen einen Spezialisten für orthopädisches Turnen schicken.»
«In der Schule habe ich meinem Turnlehrer mal die Zähne ausgeschlagen.» Ulhurt blickte auf seine Hand. «Er versuchte, gewisse Leibesübungen an mir auszuprobieren. Wissen Sie, was ich meine?»
«Ich kann’s mir vorstellen.»
«Da, schaun Sie!» Er hielt ihm eine Hand hin von der Größe eines kleineren Bananenbündels. «Sie können noch immer die Narben von seinen ausgeschlagenen Zähnen sehen.»
«Sie haben eine interessante und aufregende Zukunft vor sich.» Steinhauer versuchte zu lächeln, denn der riesige Maat wirkte plötzlich niedergeschlagen.
«Sogar mit nur einem Bein?»
«Besonders mit nur einem Bein.»
«Scheißbande, diese Engländer, Schweinekerle!» Ulhurt schlug auf sein Holzbein.
«Geben Sie den englischen Matrosen die Schuld?» Steinhauers Gesicht war ausdruckslos.
«Wem anders? Mein ganzes Leben ist verpfuscht.»
«Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß Ihr Leben nicht verpfuscht ist. Der Grund, warum Sie hier sind, ist, Sie auf Ihre zukünftige Arbeit fürs Vaterland -»
«Das Vaterland kann mich mal...»
«Ulhurt, muß ich Sie daran erinnern, daß Sie verdammtes Glück hatten? Die anderen sind -»
«Ich weiß. Diese verfluchten englischen Matrosen - umbringen könnte ich sie alle miteinander, diese Kacker.»
«Diese Möglichkeit wird Ihnen bald geboten werden. Hören Sie mir einen Moment zu. Je eher Sie sich an Ihr Holzbein gewöhnen, desto schneller können Sie es den englischen Matrosen heimzahlen. Sie haben bereits phantastische Fortschritte gemacht. Ich weiß, es ist im Moment schwer für Sie, aber ich werde Ihnen ein kleines Geheimnis anvertrauen. Bloß vergessen Sie nicht, daß es ein Geheimnis ist, etwas, das nur Sie und ich wissen.»
Der große Kopf nickte mürrisch.
«Die Aufgabe, auf die ich Sie vorbereite, betrifft englische Matrosen. Sie wird Sie in engen Kontakt mit ihnen bringen und es Ihnen ermöglichen, Rache zu nehmen. Arbeiten Sie also, und lernen Sie, was wir Ihnen beibringen können, dann haben Sie ein gutes Leben vor sich.» Steinhauer lächelte und klopfte dem Mann auf die breite Schulter. Er fühlte die Muskeln unter seiner Hand und dachte nicht zum ersten Mal, daß dieser Mann genug Körperkräfte besaß, um
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