Eine ehrbare Familie
Wohnungen über der Kneipe, zwei auf jedem Stockwerk. Die großen Türen waren schmierig, die Farbe abgeblättert. Vor der Tür Nummer 4 zog er ein Paar dicke Handschuhe aus seiner Tasche und eine herausgerissene Klaviersaite, deren zwei Enden er um seine Handgelenke schlang. Er klopfte dreimal leise an die Tür, dann ließ er seine Hände sinken und faltete sie.
Eine Sekunde lang war er verblüfft, als die Tür sich öffnete. Vor ihm stand die Mulattin, die ihn in der Klinik besucht hatte. Sie trug nur einen seidenen Kimono, durch den ihr dunkler, lockender Körper sich klar abzeichnete.
«Ach, du bist’s, komm rein.» Sie schien erfreut, ihn zu sehen. Ulhurt war schließlich sogar für eine Hure ein sehr zufriedenstellender Partner. Sie öffnete die Tür ohne Zögern. Ulhurt schloß sie mit einem Fußtritt, drehte sich um, streifte den Draht über ihren Kopf und erwürgte sie. Das Ganze ging in Sekunden vor sich. Die Mulattin gab keinen Laut von sich.
Er legte sie auf den Teppich mit dem tief in ihren schönen Hals eingegrabenen Draht. Dann verließ er die Wohnung.
Auf der Behrenstraße waren nur wenige Menschen. Ulhurt blieb nicht stehen, um nach einem Polizei-Überwacher Ausschau zu halten. Er humpelte, so schnell er konnte, zur nächsten Stadtbahnstation.
Er war nicht mehr als fünf Schritte gegangen, als er merkte, daß er verfolgt wurde. Soweit er es beurteilen konnte, von vier Männern. Ulhurt bog in den nächsten Durchgang ein. Er war schmal und dunkel, nur ganz am Ende leuchtete eine Laterne, die hoch oben an einer Mauer angebracht war. Trainiert wie er war, würde er mit allen vieren fertig werden, wenn sie dumm genug waren, ihm zu folgen.
Sie waren so dumm. Zwei stürzten auf ihn zu und befahlen ihm stehenzubleiben.
Ulhurt drehte sich um, lehnte sich gegen die Mauer, versetzte dem ersten Mann mit seinem gesunden Bein einen Tritt in die Lenden. Der andere, ein kleiner, plumper Bursche, lief geradewegs in die granitharte Faust des Maats und sackte lautlos zusammen.
Die zwei anderen riefen irgendwas, sie hatten den Durchgang eben erst erreicht. Ulhurt grinste und beschloß, das Weite zu suchen. Er merkte, daß er, wenn notwendig, sehr schnell gehen konnte, und hatte fast das Ende des Durchgangs erreicht, als er im Lichtkegel der Laterne eine Gestalt auftauchen sah.
Und die Gestalt hielt eine Pistole in der Hand. Ihm wurde blitzartig klar, daß er den Mann mit der Pistole nicht schnell genug erreichen konnte. Nun gut, dann nicht. Aber er würde um sein Leben kämpfen. Er stieß einen röhrenden Schrei aus und war im Begriff, sich auf den Gegner zu stürzen, als Steinhauers kühle Stimme die nächtliche Stille durchschnitt. «Halt, Sie haben die Prüfung bestanden. Ich hätte Angst gehabt, das Ding zu benutzen.» Er ließ die Pistole in seine Manteltasche gleiten. Ulhurt starrte ihn wortlos an und wußte nicht, ob er wütend werden oder lachen sollte.
«Ich mußte wissen, wie Sie reagieren», erklärte Steinhauer später. «Ob Sie töten würden, egal, um wen es sich handelt.»
«Ich hätte auch Sie fast um die Ecke gebracht.» Der Maat lächelte gehässig. «Schade um das Mädchen. Sie war ehrlich gut.»
«Von der Sorte gibt es eine Menge.»
Am folgenden Abend fuhr wieder eine Kutsche vor der Klinik vor mit einer weiteren Belohnung für den Maat. Eine andere Mulattin, groß mit langen, wohlgeformten Beinen, die Ulhurt umschlangen wie die eines Ringers. Niemand verlangte von ihm, dieses Mädchen zu töten...
4
Giles Railton hängte behutsam die Hörmuschel des Telefons auf. Er hatte Vernon Kells Anruf einsilbig, wie es seine Art war, beantwortet. Giles haßte das Telefon. Nun, die Neuigkeiten waren zufriedenstellend, obwohl Kell nicht sonderlich begeistert von Charles zu sein schien. Aber zumindest gehörte sein Neffe jetzt jener Welt an, in der Giles schon jahrelang zu Hause war.
Giles saß in seinem Arbeitszimmer im zweiten Stock des eleganten Hauses in Eccleston Square, nur wenige Türen von Winston und Clemmie Churchill entfernt.
Als seine französische Frau Josephine noch lebte, hieß Giles’ Arbeitszimmer in der Familie «Vaters Versteck». Die Kinder durften das Zimmer nicht betreten, und Giles erinnerte sich noch gut an die laute Empörung des zehnjährigen Andrew: «Warum dürfen wir nicht mit Papas Soldaten spielen?»
Josephine war es schwergefallen, dem kleinen Jungen den Grund zu erklären. Fünf Jahre später war sie nicht mehr in der Lage, ihm etwas zu erklären. Sie war an
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