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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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vor Anker lagen. Das richtige würde schon irgendwann auftauchen, und er hatte alle Papiere, die Uniform und andere notwendige Dokumente zusammen mit dem Sprengstoff an einem sicheren Ort verstaut.
    Alice Gregor war einsam gewesen und hatte ihn gemocht. Sie hatte dies vor vielen Jahren bewiesen. Total zuverlässig, so hatte er sie eingeschätzt, bis zu dem Abend, wo alles platzte. Nun, eine Zeitlang dürfte er sich in Invergordon oder Cromarty Firth nicht mehr blicken lassen, daher blieb ihm nichts anderes übrig, als erst mal in Deckung zu gehen. Sollte sich bis Ende März nichts rühren, würde er wieder in den Norden reisen.
    Der Brief wurde am Spätnachmittag abgegeben. Er war an ihn adressiert und unter seinem Namen stand in großen Buchstaben: WICHTIG.
    Der Inhalt war kurz und präzise: «M6 die Dame Ihrer Bekanntschaft wird Ihre weiteren Aktionen verhindern. Erledigen Sie die Angelegenheit persönlich - Sr.»
    Angeheftet an den Brief war eine Adresse. «Der Fischer» rasierte sich, zog einen schweren Mantel an und nahm einen Seidenschal aus seiner Schublade. Morgen würde er einen neuen kaufen müssen'.
    Sie dachte, es wäre Charles, der an ihre Tür klopfte, und sie rannte zum Eingang.
    «Ach, Sie sind es?» Sie lächelte.
    »Sie dachten wohl, ich würde nicht...»
    «Nein, nein, das ist es nicht. Walter Nicolai hat mir gesagt, Sie würden...»
    «Wir müssen ernsthaft miteinander reden. Darf ich hereinkommen?»
    «Natürlich.» Sie ließ ihren Besucher ein und schloß die Tür.
    Sie wandte ihm dabei den Rücken zu. In diesem kurzen Moment erwürgte er sie in dem engen Korridor.
    «Der Fischer» ging vorsichtig um das Gebäude herum. Er witterte Bewacher, und er täuschte sich nicht. Zwei von ihnen standen verborgen im Schatten eines Torbogens mit Blick auf den Haupteingang.
    Aber niemand beobachtete den Dienstboteneingang um die Ecke, nicht einmal von einem Fenster aus. «Der Fischer» erkannte Bewacher immer, selbst wenn sie sich hinter dunklen Scheiben verbargen.
    Die einzigen Spuren, die er hinterlassen würde, waren seine Fußstapfen im Schnee. Doch die würden bis zum Morgen verweht sein.
    Er zog ein kleines Stemmeisen aus der Manteltasche und brach das Schloß des Dienstboteneingangs auf. In der Halle brannte Licht, und er hörte das Gemurmel von Stimmen hinter der Tür im Parterre.
    Leise ging er die Treppe hinauf. Klopfte an. Keine Antwort. Er wartete eine Minute lang, klopfte wieder. Immer noch keine Antwort. Er klopfte ein drittes Mal, bevor er das Stemmeisen ansetzte. Die Tür knirschte, er stemmte sich vorsichtig dagegen. Die Tür gab nicht nach.
    Dann sah er ihre Beine.
    «Der Fischer» machte sich schnell und leise davon. Es war an der Zeit, aus London zu verschwinden. Er würde seinen Bericht schreiben und dann nach Glasgow oder vielleicht nach Aberdeen fahren.
    Mildreds Augen blickten seltsam, aber ansonsten machte sie einen besseren Eindruck.
    Sie saßen im Wohnzimmer in Cheyne Walk und sprachen über die karge Nachricht, die sie von Vernon Kell und Giles bekommen hatten.
    «Ich bin so erleichtert.» Es war das erste Zeichen, daß Mildreds Einstellung sich verändert hatte. «Meinst du, man wird ihr erlauben, in Frankreich zu bleiben?»
    Charles sagte, Mary Anne hätte um eine schriftliche Bestätigung ihres Postens gebeten. «Sie hat zu Weihnachten einen Brief an diesen deutschen Otto von Brasser geschrieben, in dem sie sagt, sie hoffe, nach Rouen zurückzukehren, jedenfalls würde sie wieder von sich hören lassen.»
    Mildred blickte lange ins Feuer, dann wechselte sie das Thema. «Ich muß unbedingt Dr. Harcourt wieder aufsuchen. Ich muß ihn unbedingt morgen sehen.»
    Sie begann zu zittern, dann nahm sie sich zusammen und sagte mit fester Stimme: «Ja, ja, ich hoffe, er hat morgen Zeit für mich.»
    Aus den fernsten Winkeln ihrer Erinnerung tauchten seltsame, lebhafte, beunruhigende Bilder auf. Sie wirkten so lebenswahr, als seien es Dinge, die sie tatsächlich erst vor wenigen Tagen erlebt hatte. Sie sah Bäume vor sich und einen sehr jungen Knaben, sie lag auf dem Rücken und spürte den Atem des Knaben. Sie mußte an sich halten, um nicht aufzuschreien, als ein plötzlicher Schmerz zwischen ihren Schenkeln sie durchzuckte. Dann war sie wieder im Wohnzimmer und hörte das Klopfen an der Eingangstür.
    Das Dienstmädchen kam herein und sagte, Major Kell und Mr. Thomson wünschten Mr. Railton zu sehen.
    «Ich war auf dem Weg zum Büro, Vernon», fing Charles an. Dann sah er den Ausdruck

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