Eine ehrbare Familie
Unteroffizier. «Ihre Zelle! Ich habe noch nie so eine Sauerei gesehen. Das werde ich dem Kommandanten melden!» Er drehte sich auf dem Absatz um und knallte die Tür hinter sich zu.
Eine halbe Stunde später kamen sie zurück und brachten zwei Eimer, eine Scheuerbürste und einen Lappen in die Zelle. «Machen Sie diesen Dreck weg, Gefangener, und säubern Sie Ihre Kleider. Befehl vom Kommandanten. Bis sechs Uhr abends muß alles tipptopp sein.»
Ein Eimer enthielt lauwarmes Wasser, der andere ein Desinfektionsmittel, vermutlich Lysol, dachte James. Um sich vor weiteren Krankheiten zu schützen, versuchte James, mit den unzureichenden Putzmitteln das Beste zu erreichen. Er bekam die Zelle sauber, aber nicht seine Hosen, an denen die Exkremente klebten.
Der Kommandant erschien in Begleitung des Unteroffiziers, der ihn anbrüllte aufzustehen. James hatte kaum die Kraft, sich zu erheben.
«Das ist nicht gut genug», erklärte der Kommandant. «Geben Sie dem Gefangenen saubere Kleider und mehr Material, um die Zelle zu putzen.»
Sie schleppten James fort. Zogen ihn aus und steckten ihn in ein brühheißes Bad. Die zwei Soldaten schrubbten ihm mit zwei harten Bürsten und einer Art Karbolseife fast die Haut ab. Als sie ihn in die Zelle zurückbrachten, war er so sauber wie nie zuvor.
Diesmal stand der Eimer wieder da und ebenfalls Essen.
James war ausgehungert, und er wußte, er mußte essen und trinken, um wieder zu Kräften zu kommen. Die Nacht verlief ereignislos. In der Früh erschien der Kommandant wieder. «Das ist schon besser», schnarrte er. «Aber noch nicht gut genug.» Er wandte sich an den Unteroffizier und befahl, der Gefangene solle die Wände tünchen.
Sein Körper brannte noch immer wie Feuer von dem rohen Schrubben im Bad. Sie brachten einen Eimer mit Tünche, und er machte sich langsam an die Arbeit.
Sie ernährten ihn normal, und nach zwei Tagen war er mit der Arbeit fertig. Danach verlief alles normal, ungefähr eine Woche lang.
Und wieder fing es in der Nacht an. Er hatte nicht bemerkt, daß sie ihm den Eimer wieder fortgenommen hatten und die Suppe dicker als üblich war. Ganz offensichtlich hatten sie ihm starke Abführmittel unter das Essen gemischt.
Die frühen Morgenstunden waren die schlimmsten. Er übergab sich unentwegt, und seine Eingeweide fühlten sich an, als würden sich glühende Nägel hineinbohren.
Diesmal stellten sich die Wärter nicht taub. Er war sogar zu schwach, um aufzustehen, als sie kamen, ihn aus der Zelle zerrten, den Korridor entlang in eine andere, größere Zelle schleppten und ihn systematisch verprügelten.
Dann setzten sie ihn halb bewußtlos in einen Stuhl, und das Verhör begann.
«Ihr Name?»
«Franke.»
«Falsch.» Ein Schlag auf den Kopf sandte ihn zu Boden.
«Was haben Sie mit dieser Dimpling zu tun?»
«Nichts.»
«Falsch.» Ein Faustschlag ins Gesicht.
Sie fragten ihn stundenlang aus. Schließlich schleiften sie ihn in seine Zelle zurück. Er bekam vierundzwanzig Stunden nichts zu essen.
Die Zeit schien stillzustehen. Aber er vermutete, daß es ungefähr eine Woche später war, als sie kamen, ihn einen langen, gewundenen Korridor und ein paar Stufen hinauf in eine Wachstube führten. Vier Soldaten mit Gewehren begleiteten ihn zu einer Art Lieferwagen und befahlen ihm einzusteigen. Im Wageninneren war es dunkel, und es roch nach Schweiß. Die Soldaten setzten sich neben ihn. Jemand schloß die Tür. Der Wagen setzte sich in Bewegung.
Die Fahrt dauerte zwei Tage lang. Sie hielten nur an, um zu essen, sich zu erleichtern und zu schlafen.
Während der Fahrt zitierte er im stillen den ganzen Hamlet. Wenn er am Ende war, fing er wieder mit Akt eins, Szene eins an. Bei der sechsten Wiederholung hatten sie ihr Ziel erreicht.
Sie hielten in einem Hof. Es schneite, Stiefel knarrten und rutschten aus. Der Schnee schien auf Kopfsteinpflaster zu liegen. Über ihnen erhoben sich Mauern, die Fenster waren hauptsächlich romanisch. James versuchte sich zu erinnern, in welchem Teil Deutschlands oder Österreichs sich eine guterhaltene romanische Burg befand.
Die Zelle war größer und lag hoch oben im Gebäude. Die Wände bestanden aus soliden Steinquadern, ein Bogen bildete eine natürliche Trennungslinie zwischen dem Schlaf- und einem Wohnraum. Das Bett war bequem mit sauberen Kissen und Decken.
Im Wohnraum standen, in den Boden eingeschraubt, ein Tisch und zwei Stühle. Zum ersten Mal seit Wochen saß er an einem Tisch und aß eine genießbare
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