Eine ehrbare Familie
angelaufen, und der Seidenschal um seinen Hals war so fest geknotet gewesen, daß seine Luftröhre zerquetscht worden war.
Der Polizeibeamte, der den Fall bearbeitete, war der Ansicht, daß das Opfer seinen Mörder bestimmt gekannt und ihm sogar vertraut hatte. Der Apotheker war zweifellos überrascht worden, und es gab gewisse Hinweise, die darauf schließen ließen, daß jemand eine Zeitlang im gegenüberstehenden Sessel gesessen hatte.
Charles machte Gebrauch von seinem Polizeiausweis, den alle höheren Geheimdienstler immer bei sich trugen, ließ sich auf dem Revier die Akten geben und sprach mit den Nachbarn. Innerhalb weniger Stunden fand er heraus, daß die verstorbene Mrs. Douthwaite mit Mädchennamen Gerda Erzberger hieß und in Hamburg geboren war. Ihre Eltern hatten sich, als sie sieben Jahre alt war, in London niedergelassen. Diesen wichtigen Punkt hatte die Polizei übersehen.
Charles setzte sich sofort mit der Fremdenpolizei in Verbindung, die ihm mitteilte, daß die Eltern 1911 nach Deutschland zurückgekehrt seien.
Von Dorothy Knapp, einer kecken, lustigen Brünetten mit großen Augen, erfuhr er, daß Mr. Douthwaite gegen Ende 1914 einen ständigen Mieter aufgenommen hatte. «Er war nicht die ganze Zeit über da, wie konnte er auch, wo er doch zur See fuhr. Aber gezahlt hat er regelmäßig.»
Nein, seinen Namen hätte sie nie gehört, aber gesehen hätte sie ihn oft. Ob sie ihn beschreiben könne? Natürlich, ja. Charles hörte ihr zu und fühlte, wie ihm eine Gänsehaut über den Rücken lief. Rosscarbery und der riesige, humpelnde Mann. Die Beschreibung paßte genau. Woher sie wisse, daß er ein Seemann war? Sie zuckte die Achseln, vielleicht hätte Mr. Douthwaite es ihr erzählt. Sie könne sich wirklich nicht erinnern.
Charles fuhr nach Portsmouth und ließ sich dort die Akten geben. Leutnant zur See Alexander Paul Fiske, dreißig Jahre alt, hatte am 14. November auf seinen neuen Einsatzbefehl gewartet. Er war wie so viele Marineoffiziere in Dartmouth ausgebildet worden.
Wo er zur Schule gegangen war, wurde nicht erwähnt. Seine Dienstzeugnisse waren einwandfrei. Beide Eltern waren tot. Was Charles aber am meisten interessierte, war der Grund, warum Leutnant Fiske auf einen neuen Einsatzbefehl gewartet hatte. Zuletzt hatte er auf der Bulwark gedient. Aber der Leutnant hatte Glück gehabt. Er war am Morgen der Explosion auf Urlaub gegangen.
Eine Küstenpatrouille hatte am 28. November 1914 seine Leiche halb versteckt hinter Ölkanistern gefunden. Er war mit seinem eigenen Schal erdrosselt worden.
Abgesehen von diesen Informationen erfuhr Charles nur noch, daß Fiske wenig Freunde gehabt hatte und Deutsch sprach.
Charles war im Begriff, nach Schottland zu fahren, als ihn die telefonische Nachricht erreichte, er möge sich umgehend mit seiner Frau und Vernon Kell in Verbindung setzen.
Kell sagte ihm kurz am Telefon, daß Mary Anne gefunden worden sei. Dann bat er ihn, die Reise nach Schottland zu verschieben. «Ich glaube, Sie sollten erst mal Ihre Frau sehen, bevor Sie nach Norden reisen.»
Mildred klang seltsam verstört, als er sie anrief. Sie brachte kaum einen Satz zu Ende und sprang von einem Thema zum anderen. Sie war offensichtlich erleichtert, zu erfahren, daß Mary Anne nichts zugestoßen war, aber sie stellte lauter nervöse, unsinnige Fragen. Wo sie wohl gewesen sein mochte? Warum sei sie nach Rouen zurückgekehrt? Und zum Schluß, was Charles am meisten beunruhigte, bat sie ihn, doch wieder diese köstlichen Opiumtropfen, die er ihr manchmal gekauft hatte, mitzubringen. Mildred gierte offensichtlich nach diesen Tropfen. Sie hörte nicht auf, davon zu reden, bis sie völlig den Faden verlor und nur noch schrill lachte. Charles, aufs äußerste alarmiert, nahm den nächsten Zug nach London.
«Der Fischer» ging in letzter Zeit nur selten aus dem Haus, er wartete auf neue Anweisungen. Er hatte bereits den Befehl bekommen, ein weiteres Opfer aufzusuchen und damit in gewohnter Weise umzugehen.
Er hatte alles befehlsgemäß erledigt, aber dann war diese unglückliche Geschichte in lnvergordon passiert. Fiske und Douthwaite hatten ihm beide leid getan, aber es war notwendig gewesen. Was sonst sollte man mit Leuten tun, die ihre Nerven verloren.
Aber Alice Gregor stand auf einem anderen Blatt. Ihre kleine Pension war ein absolut sicherer Schlupfwinkel gewesen. Niemand hatte je Fragen gestellt, und er war kilometerweit gelaufen und hatte beobachtet, welche Schiffe in Cromarty Firth
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