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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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ein großer Vorteil war. Denn wer würde schon vermuten, daß ein alter Trottel wie Paul so viel Verstand hatte, für London bestimmte Informationen nach Holland zu schmuggeln?
    Denise wurde unruhig. Die Polizeibeamten unternahmen nichts, aber sie gingen auch nicht. Der Straßenbahnschaffner fragte sie auf halb französisch, halb deutsch wie lange sie noch bleiben würden? Einer der Polizisten zuckte die Achseln und gab vor, unter die Sitze zu schauen.
    Sie hörte das Auto, bevor sie es sah. Ein großes Cabriolet mit einem langen Kühler. Vier uniformierte Deutsche saßen auf den Sitzen. Als der Wagen hielt, sprangen sie hinaus wie vier komische Akrobaten. Aber die vier waren alles andere als komisch.
    Einer trug ein Gewehr, die anderen hielten Pistolen in der Hand. Sie stürmten in die Straßenbahn, ergriffen Paul und schleiften ihn hinaus.
    Keiner nahm Notiz von dem Zwischenfall, jeder hatte genug eigene Sorgen. Bloß kein Aufsehen erregen. Am besten nicht hinsehen.
    Die Klingel läutete. Die Straßenbahn ratterte in Richtung Holland und der holländischen Posten. Das letzte, was Denise sah, war der Faustschlag, den einer der Soldaten Paul versetzte, als er ihn in den Wagen stieß. Denise vermeinte Blut auf Pauls Gesicht zu sehen.

26
    Sie verlegten James in eine alte Burg, hoch oben zwischen Felsen und Tannen, an den Mauern war Stacheldraht hochgezogen wie eine Art bösartiger Efeu.
    «Hier wird nicht herumgelungert», sagte ihm der Kommandant. «Bei uns wird gearbeitet fürs tägliche Brot.» Der Kommandant war ein ältlicher Mann, der lange und gern von seinen mutigen Taten bei der Kavallerie erzählte.
    James hatte den Eindruck, er befände sich irgendwo im Rheinland. Er schien der einzige Gefangene in der alten und zugigen Burg zu sein. Aber er wurde respektvoll behandelt, was ihn verwirrte. Normalerweise hätte ihn ein Verhör und anschließend ein Exekutionskommando erwartet.
    Die Worte des «Professors» kamen ihm oft in den Sinn. «Sie stehen unter besonderem Schutz.» Marie? Verdankte er es ihrem Einfluß, daß er getrennt von anderen Gefangenen untergebracht wurde, ein geheimer Gefangener, der bis Kriegsende festgehalten  wurde? Aber was dann? Irgendwie mußte er sich den Glauben an die Zukunft erhalten. Und so zitierte er Shakespeare, flog in Gedanken, lauschte Margaret, die in ihrem gemeinsamen Haus Klavier spielte. Manchmal vermeinte er sogar die Kinder lachen und herumtollen zu hören.
    Aber sie ließen ihn nicht lange allein. Am Ende der ersten Woche erschien ein englisch sprechender Steinmetz, für den er arbeiten mußte.
    Einige der Innenwände der Burg waren reparaturbedürftig. Der Steinmetz zeigte ihm, was er zu tun habe - große Steinplatten schleppen, primitive Flaschenzüge errichten.
    Abends aß er beim Kommandanten, der ihm unendliche Geschichten aus seiner Kavallerievergangenheit, von Duellen und dem preußischen Ehrenkodex erzählte, doch gelegentlich ließ er auch einige Kriegsneuigkeiten einfließen - zwischen Obst und Käse, sozusagen als Extra-Gang.
    James nahm alles mit einem gewissen Vorbehalt zur Kenntnis -Berichte von enormen französischen Verlusten bei Verdun, die erbitterten Kämpfe an der Somme, die Schwächung der britischen Armee.
    «Um Verdun wird Tag und Nacht gekämpft», sagte der Kommandant. «Wir werden noch vor Weihnachten siegen.»
    Erst viel später erfuhr James Railton die volle Wahrheit: die sinnlos geopferten Soldaten, die entsetzlichen Kampfbedingungen, der mangelnde Nachschub an Verpflegung, Munition und Menschen.
    Das Jahr nahm seinen Fortgang. Aber zumindest nahm James jetzt den Wechsel der Jahreszeiten wahr. Eines Abends, Ende August, teilte der Kommandant ihm zwei bereits überholte Neuigkeiten mit. Beide beunruhigten James. Und eine davon hielt er für bestimmt zutreffend.
    Die erste war, daß Lord Kitchener tot sei. Das Schiff, auf dem er sich befand, sei versenkt worden, erklärte der Kommandant. Die zweite war, daß im Mai eine große Seeschlacht stattgefunden habe. «Und nun», sagte der Kommandant, «beherrscht Deutschland die Weltmeere.»
    Sogar den Männern und Frauen in den Städten und Dörfern Großbritanniens hätte man den Gedanken nicht verübeln können, daß Deutschland nach der Schlacht vor dem Skagerrak die Weltmeere beherrsche. Die amtliche Verlautbarung machte fast den Eindruck, als sei sie von den Deutschen verfaßt.
    Sara las den Bericht in Redhill und war so deprimiert, daß sie sofort Charlotte anrief.
    «Ich sehe Andrew nur

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