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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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selten», sagte Charlotte spitz. «Aber ja, ich gebe dir recht, es sieht nicht gut aus. Obwohl Andrew sagt, ganz so schlimm, wie das offizielle Kommunique lautet, wäre es auch wieder nicht.»
    «Haben wir wirklich sechs Kreuzer und acht Zerstörer verloren?»
    Charlotte sagte trocken, ja so sei es. «Soweit ich höre, sind mehr als sechstausend Mann umgekommen.»
    Andrew arbeitete jetzt im Zimmer 40 und im Kriegsraum der Admiralität. Aber nicht einmal er kannte die vollen Ausmaße des Muts, der kühnen Taten und des völligen Versagens während dieser einzigen großen Seeschlacht des ganzen Kriegs.
    Erst viel später kam die volle Wahrheit über die Seeschlacht vor dem Skagerrak ans Tageslicht.
    Es stimmte zwar, daß die Engländer große Verluste erlitten und Schwächen in bezug auf Waffen und Bewaffnung aufgewiesen hatten, aber Anfang Juni war die deutsche Flotte erneut in ihren Häfen blockiert, unfähig sich zu rühren, so wie es seit 1914 der Fall gewesen war, während die britische Flotte trotz ihrer Verluste nach wenigen Wochen wieder aktionsfähig war.
    Andrew war nur noch selten in der King Street, denn er hielt sich entweder in der Admiralität auf oder in der Wohnung der attraktiven Miss Greatorex. Seinen Vorgesetzten fiel auf, daß er sehr viel weniger trank und seinen Pflichten aufs pünktlichste nachkam. Aber jeder, der ihn näher kannte, spürte, daß er tief unglücklich war. Andrews Niedergeschlagenheit war auf sein momentanes Leben zurückzuführen. Er war von der Welt enttäuscht, aber besonders von Grizelda Greatorex.
    Anfangs fühlte er sich rein physisch sehr von ihr angezogen. Sie hatte ihm seine Männlichkeit zurückgegeben, die ihm durch die Schicksalsschläge, die seine Familie erlitten hatte, verlorengegangen war. Aber sein Versagen war nicht allein seine Schuld. Andrew wie Charlotte hatten beide versäumt, sich in der schweren Zeit gegenseitig zu trösten. Jeder hatte sich in seinen eigenen Kummer vergraben, statt ihn mit dem anderen zu teilen. Und so war Andrew, als sich die Gelegenheit ergab, den Reizen der sehr viel jüngeren Frau verfallen.
    Aber die Flitterwochen waren vorbei. Charlotte wußte über die Affäre Bescheid, unternahm aber nichts. Die Beziehung zwischen ihm und Grizelda kühlte ab, dennoch war er nicht willens, auf die Freuden von Miss Greatorex’ Bett zu verzichten. Andrerseits brauchte er die Gespräche und die Gegenwart der sehr viel reiferen Charlotte.
    Diese zwiespältige Situation wurde durch einen merkwürdigen Zwischenfall gelöst, der Andrew fast seine Karriere gekostet hätte.
    Eines Abends im Juni führte er Grizelda zum Abendessen ins Savoy aus. Während sie über die lästige Lebensmittelknappheit, Dienstbotenprobleme und die unkleidsame Mode klagte, blickte sich Andrew gelangweilt im Speisesaal um. An einem Tisch am anderen Ende des Saals erspähte er zufällig Reginald Hall, der angeregt mit einem Mann in Zivil sprach, dem Andrew ein- oder zweimal in den Korridoren der Admiralität begegnet war.
    Er murmelte halb zu sich selbst: «Wer kann das bloß sein?»
    «Wer, Liebling?» fragte Grizelda, die ihr Geplauder unterbrach und in die gleiche Richtung wie Andrew blickte.
    «Der Marineoffizier da drüben...»
    «Aber den solltest du doch kennen...»
    «Das tu ich auch. Ich arbeite für ihn.»
    «Ach, das ist also der berühmte Hall?»
    «Woher weißt du das...?» Er runzelte die Stirn.
    Sie klopfte ihm auf die Hand. «Du sprichst manchmal im Schlaf, Dummerchen. Nein, Papa hat mir von ihm erzählt. Aber wen kennst du nicht?»
    «Den anderen, der mit ihm spricht.»
    «Ach, der! Das kann ich dir sagen. Er ist ein Amerikaner. Ich hab ihn auf einer Party getroffen. Er hat irgendwas mit der Botschaft zu tun. Ich werde Papa fragen, wenn es dich interessiert.»
    Andrew hatte vergessen, wie geschwätzig Miss Greatorex war.
    Am nächsten Abend in der Mitte einer langen, belanglosen Geschichte über eine Freundin, die, während sie in Frankreich einen Sanitätswagen gefahren hatte, verwundet worden war, unterbrach sie sich plötzlich. «Du hast dich doch nach dem Mann erkundigt, der gestern mit Reginald Hall zu Abend aß. Ich habe Papa gefragt. Er heißt Bell. Eddie Bell. Sie nennen ihn Ned Bell. Er ist zweiter Sekretär an der amerikanischen Botschaft. Ganz dick befreundet mit Reggie Hall, sagt Papa...»
    «Ja, Grizelda, es war nicht so wichtig.»
    Um halb elf Uhr früh am nächsten Morgen wurde Andrew ins Büro des DID zitiert. Hall war zornrot im Gesicht. Er

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