Eine ehrbare Familie
hatte er einen oft wiederkehrenden Traum, in dem er einem exotischen Schmetterling vorsichtig die Flügel ausriß. Er hatte den Traum noch jetzt gelegentlich, brachte ihn aber nie in Verbindung mit jener Tat, die er aus eigenem Antrieb, für sein Land, vollbracht hatte.
Es war nach zehn Uhr, als er Eccleston Square erreichte. Das Haus lag im Dunkeln. Er aß und verzog sich in sein «Versteck», wo er eine große Maßstabskarte des Schlachtfelds von Crecy aus seiner umfassenden Sammlung hervorholte. Er hatte die Karte, so wie alle anderen, selbst gezeichnet. Dann zog er mehrere Schubladen heraus, in denen, bis ins letzte Detail getreu, Zinnsoldaten lagen: Die Truppen von Eduard III. und dem «Schwarzen Prinzen».
Giles stellte die englische Armee hinter Abbeville auf und verfolgte die Truppenbewegungen des Jahres 1346. Wenn Giles Railton an irgend etwas glaubte, dann war es an die Theorie, daß man aus den Torheiten und Weisheiten der Vergangenheit lernen könne. Doch während er seine Zinnsoldaten-Truppen auf der Landkarte hin- und herbewegte, weilte ein Teil seiner Gedanken bei seiner Schwiegertochter Bridget, die sich jetzt mit Malcolm auf dem Weg nach Irland befand. Er hoffte, daß Bridget - jetzt eine Railton in Giles’ Augen - trotz des mangelnden Interesses ihres Ehemanns, begreifen würde, wem sie Loyalität schuldete.
Andrew musterte sich beim Rasieren im Spiegel. Es fiel ihm schwer, zu glauben, daß er schon Ende Dreißig und zum Korvettenkapitän aufgestiegen war. Und manchmal war er über sein eigenes Glück erstaunt. Wie alle Seeleute zog er es vor, auf einem Schiff zu sein, aber seine augenblickliche Stellung befriedigte ihn durchaus. Sein Sohn Caspar stand kurz vor einer lebenswichtigen Entscheidung, während die Zwillinge, Rupert und Roy, sich der ersten Hürde näherten, die für ihre Zukunft ausschlaggebend sein würde. Andrew war unmäßig stolz auf seine Söhne.
Aber auch sein privates Leben konnte nicht besser sein. Sogar nach siebzehnjähriger Ehe war Charlotte für ihn noch immer die ideale Frau und eine gute Mutter. Sie hatte einen klaren, wachen Verstand und war immer begierig darauf, dazuzulernen, so daß sie über fast alles miteinander reden konnten. Sie führte sein Haus mit militärischer Präzision, obwohl sie manchmal etwas mehr trank, als gut für sie war.
Auch nach all dieser Zeit genoß sie ihre gemeinsamen Liebesnächte noch und gab sich ihm mit einer für ihn immer wieder überraschenden Leidenschaft hin.
Nachdem er sich angezogen hatte, ging er in Charlottes Zimmer. Trotz der frühen Stunde war sie bereits wach. Er sagte ihr, er würde zur üblichen Zeit am Abend heimkehren und habe sie nur kurz vor dem Frühstück und bevor er zur Admiralität ginge, sehen wollen.
Sie lächelte ihn verschlafen an. «Ach, Lieber, was tust du eigentlich den ganzen Tag lang im Büro?» Dann war sie plötzlich hellwach. «Andrew, in letzter Zeit sprichst du kaum je über deine Arbeit. Was tust du nun wirklich im Büro? Früher hast du soviel darüber erzählt...»
Andrew hatte sich gescheut, mit seiner Frau über seine Tätigkeit beim Direktor der Marine-Informationsdivision zu sprechen. «Die Admiralität ist einfach nicht mehr so interessant wie früher.» Er hoffte, damit ihre Fragen abgebogen zu haben.
Ihr Gesicht bewölkte sich. «Vermutlich arbeitest du jetzt beim neuen Admiralsstab.»
«Ja, mehr oder weniger.» Er beugte sich zu ihr hinunter und küßte sei. «Bis heute abend, Liebling.»
«Ich freu mich schon jetzt darauf.» Sie lächelte und ließ sich auf ihre Kissen zurücksinken.
Heute abend, dachte er. An irgendeinem Abend würde er ihr mehr über seine Arbeit erzählen müssen. Es war unbedingt notwendig, Ehefrauen bis zu einem gewissen Grad zu informieren, damit sie nicht ins Fettnäpfchen traten, besonders nicht bei offiziellen Empfängen.
Er ging hinunter ins Eßzimmer, um zu frühstücken. Ein Kuvert lag neben seinem Teller, und er erkannte sofort die Handschrift seines Vaters. Es enthielt einen Briefbogen, der mit Zahlen bedeckt war. So wichtig die Nachricht auch sein mochte, erst mal würde er frühstücken, beschloß er. Er nahm sich Eier mit Speck von der Anrichte und vertiefte sich in die Times. Als er fertig war, ergriff er eine zweite Tasse Kaffee und das Kuvert und ging in sein Arbeitszimmer.
Er schloß die Tür ab, legte die Nachricht seines Vaters auf den Schreibtisch und nahm ein Buch aus dem Regal an der rechten Wand.
Andrew interessierte sich für
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