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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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Geheimschriften und Codes, seit er knapp vierzehn Jahre alt gewesen war. Als Zeitvertreib hatte sein Vater sich für ihn die einfachste Chiffrierformel ausgedacht, einen ganz gewöhnlichen Buchcode, bei dem Nachrichten durch Zahlenblöcke verschlüsselt wurden, die der Seite, der Zeile und der Reihenfolge der Wörter entsprachen. Kein sehr raffiniertes System, aber ein nützliches, denn die Zahlen waren natürlich nur für jemand verständlich, der wußte, welches Buch dem Code zugrunde lag. Anfangs benutzten sie William Shakespeare, denn alle Railtons waren große Verehrer des Dichters. Aber dann erschwerte Giles den Code, als er zwei Bände eines dreibändigen Geschichtswerks mit dem anspruchsvollen Titel entdeckte: «Eine Übersicht der Weltgeschichte von der Schöpfung bis zur Gegenwart».
    Es war 1795 von einem Pfarrer namens J. Adams verfaßt worden. Sie hatten das Buch in den folgenden Jahren oft für ihre privaten Mitteilungen benutzt.
    Für die Verschlüsselung der letzten Nachricht hatte Giles Band eins benutzt. Das Buch war in einer blumenreichen Sprache geschrieben, die die wörtliche Übertragung zuweilen etwas komplizierte. Aber Andrew brauchte nicht länger als drei Minuten, bis der Klartext vor ihm lag: Der Verfasser schlägt vor, daß Du heute beim Militärtribunal Deinen Hauptmann nicht begleitest.
    So, so! Andrew lächelte ein wenig spöttisch. Sollte dies ein Fall sein, wo der Vater nicht durch die Gegenwart des Sohns abgelenkt sein wollte? Oder handelte es sich einfach darum, daß zu viele Railtons die Intrigen-Suppe verderben könnten? Das «Militärtribunal» war die erste Vollversammlung des CID, um den Geheim- und Sicherheitsdienst umzuorganisieren. Normalerweise hätte Andrew seinen «Hauptmann», das hieß, seinen Chef, den Direktor der DID, begleitet.
    Sobald er die Admiralität erreichte, ging er zum DID, um sich für seine Abwesenheit bei der nachmittäglichen Versammlung zu entschuldigen. Dann begab er sich in sein Büro und vertiefte sich in die wichtige und streng geheime Aufgabe, die ihm übertragen worden war.
    Die Wochen vergingen, und die Railtons stellten sich auf ihre neuen Rollen ein, die ihnen nach dem Tod des Familienoberhaupts, des Generals, zugefallen waren.
    Asquith hatte wie vorausgesehen die Wahlen gewonnen, aber die liberale Mehrheit war erschreckend geschrumpft. John Railton, der in seinem Wahlkreis mit fliegenden Fahnen gesiegt hatte, wurde nicht ins Kabinett berufen.
    Charles reiste im Land herum, das Wohin und Warum war in tiefes, wolkiges Schweigen gehüllt.
    Mildred fühlte sich mit fortschreitender Schwangerschaft jeden Tag deprimierter. Sie wagte Charles nicht zu sagen, daß sie unter schrecklichen Ängsten wegen des Babys und der Niederkunft litt.
    Die jüngeren Familienmitglieder kehrten in ihre Internate zurück. Giles führte seinen privaten Krieg, manchmal im geheimen, zumeist jedoch in offiziellen Komitees, wo er bald entdeckte, daß sein Kampf gegen sture Finanzbeamte und gegen noch verkalktere Militärs ging. Es war nur zu offensichtlich, daß die Generale und die militärischen Berater in der Zukunft nur mit Scharmützeln gegen Negerstämme im Bereich des britischen Imperiums rechneten. Die Marine verstand die Nützlichkeit eines gut funktionierenden Geheimdienstes für einen modernen Krieg sehr viel besser. Sie gab sich keinen Friedensillusionen hin. Die Generale jedoch konnten sich mögliche Strategien und Taktiken eines kommenden Konflikts nicht mal vorstellen.
    Giles hatte einige heftige Zusammenstöße mit Sir Douglas Haig, der, als er erfuhr, daß der Geheimdienst plante, Ausländer als Agenten anzuwerben, vor Wut fast platzte und schrie: «Ich habe so etwas Schändliches noch nie gehört. Ein Mitglied der Königlichen Zivilverwaltung, das Ausländer dazu anstiftet, ihr eigenes Land zu verraten, und sie dafür auch noch bezahlt!»
    Bei einer anderen Gelegenheit verfocht Haig die Meinung, daß das Einholen von militärischen Informationen immer die Aufgabe der Kavallerie gewesen sei und weiterhin so bleiben würde. «Wenn ich Informationen brauche, dann hole ich sie mir auf eine faire und anständige Weise. Und wenn ein Offizier sie sich auf illegale Weise beschafft, dann weiß er, daß er, falls er entlarvt wird, mit seinem Leben zahlt.»
    Giles Railton hörte sich die törichten Reden mit großer Sorge an, denn sein Verstand sagte ihm, daß Europa allmählich zu einem Pulverfaß wurde, und ihm schwante, daß die erste Explosion vermutlich in

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