Eine ehrbare Familie
nächster Nähe detonieren würde - nämlich in Irland.
5
Kein geborener Railton war je mit den kohlschwarzen Haaren und Augen gesegnet gewesen, die Bridget Kinread in die Familie brachte, als sie Malcolm heiratete. Der General wie auch Giles hatten beide Gefallen an ihrem Aussehen, ihrer klaren Haut und ihrer Heiterkeit gefunden. Doch keiner von ihnen hatte sie je in einer ihrer düsteren Stimmungen erlebt, die so unerwartet kamen wie Sommergewitter.
Und in einer solchen Stimmung befand sie sich jetzt. Sie saß am Fenster ihres früheren Jungmädchenschlafzimmers und beobachtete, wie der Nebel sich über dem Tal verdichtete. Sie hatte gehofft, daß Malcolm seine Meinung doch noch ändern würde, obwohl es dazu eigentlich zu spät war.
Aber Malcolm hatte seine Meinung nicht geändert. Er hatte das Gut Glen Devil gekauft, hundertfünfzig Morgen Ackerland und ein altes georgianisches Herrenhaus. In einem Monat würden sie dort einziehen - und ganz Irland wußte es.
Es war immer das gleiche in ihrem Geburtsland. Oft hatte sie das Gefühl, Irland mit seinem leidenschaftlichen Nationalstolz sei mehr ein Dorf als ein Land.
Hätte Malcolm doch bloß ein Gut in England gekauft, dachte sie. Trotz seiner guten Erziehung, seiner vornehmen Herkunft, seiner Erfahrung in der Armee hatte er keine Ahnung, in was er sich da eingelassen hatte und welchem Druck sie eines Tages ausgesetzt sein würden. Sie hatte versucht, ihm dies alles zu erklären, aber wie die meisten seiner Landsleute hatte er es einfach nicht begriffen. Die Engländer hatten die Iren nie wirklich verstanden. Hätten sie es getan, dann wäre der bittere Fluß des Hasses, der durch so viele irische Leben floß, schon vor langer Zeit ausgetrocknet.
Viele Male in ihrer Kindheit hatte Bridget an demselben Fenster gesessen und sich über ihre melancholischen Anwandlungen gewundert. Sie schämte sich ihrer Gedanken über Irland und die Iren. Aber seit sie denken konnte, hatte sie eine negative Einstellung zu Irland gehabt, die sich während ihrer Schulzeit in England noch verstärkt hatte.
Bis sie als Malcolms Frau zurückgekehrt war, hatte Bridget ihrer Heimat nur kurze Ferienbesuche abgestattet. Und jetzt war sie eine erwachsene Frau von dreißig, die die Welt gesehen hatte, und ihr Ehemann gehörte einer der bekanntesten Familien Englands an.
Er hatte sich in die irische Landschaft verliebt, aber auch ein gewisser Snobismus war mit im Spiel gewesen, als er sich entschloß, Glen Devil zu kaufen. «Wir können hier in einem größeren Stil leben als all die anderen Railtons in England, und man bringt den Gutsherren noch größeren Respekt entgegen», hatte er ihr gesagt.
Nach der Beerdigung des Generals hatte sie sich hilfesuchend an Giles gewandt. «Schwiegervater, Malcolm will unbedingt Landwirt werden. Gibt es für ihn nicht irgendeine Möglichkeit in Redhill? Du weißt, er ist wirklich tüchtig.»
Giles hatte sie mit kalten Augen gemustert und den Kopf geschüttelt. «Bridget, meine Liebe, Redhill gehört jetzt John, und wenn Malcolm Landwirt in Irland werden will, kann ich ihn daran nicht hindern. Aber du bist jetzt eine Railton, und es gibt Dinge, die du für deine neue Familie tun kannst. Dinge von großer Wichtigkeit.»
Sie hatte ihn erstaunt angesehen und erst verstanden, was er meinte, als er anfing, sie über ihre Vergangenheit und über die Leute, die sie in Dublin kannte, auszufragen.
«Meine Ehrbegriffe mögen altmodisch sein», hatte Giles gesagt. «Ich liebe mein Land, die Monarchie und Gott. Ideale verblassen natürlich, wenn man älter wird, trotzdem hoffe ich, daß auch du unsere Ideale teilst. Deine neue Familie dient seit Jahrhunderten England, willst auch du es tun?»
Sie sagte ja, und dann fing er an, ihr zu erklären, was sie zu tun hatte.
Und jetzt war Bridget Railton mit Ausnahme von Michael Bergin, dem Stallknecht, allein in ihrem Elternhaus. Ihre Eltern waren mit Malcolm nach Wicklow, der nächstliegenden Stadt, gefahren. Jeder, der sie kannte und mit ihr sprechen wollte, würde das wissen und kommen. Noch während sie dies dachte, sah sie einen Reiter über das Feld galoppieren. Und trotz des Nieselregens erkannte sie Padraig O’Connell. Sie kannten sich beide seit ihrem fünften Lebensjahr.
Sie glitt von der Fensterbank, blickte kurz in den Spiegel, glättete ihr Haar und zupfte ihren Spitzenkragen auf ihrem einfachen braunen Wollkleid zurecht. Von oben auf der Treppe konnte sie bereits Michael Bergin hören, der Padraig
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