Eine ehrbare Familie
für eine Routine-Überprüfung, alter Knabe. Sie haben sie in einer Stunde zurück.»
Charles las weiter seine Akten. Um zehn Uhr fünf kam Miss Wedge und bat ihn, in Colonel Kells Büro zu kommen.
«Sie wollten mich sprechen, Vernon?» Partridge schloß die Tür hinter Charles und stellte sich auf seine rechte, Wood auf seine linke Seite. Basil Thomson lehnte an Kells Schreibtisch.
Kell murmelte: «Tut mir leid, Charles.» Basil Thomson sagte in dienstlichem Tonfall: «Sie sind Charles Arthur Railton, wohnhaft in London, Cheyne Walk?»
Charles schien den Ernst der Situation noch immer nicht zu begreifen. «Zum Teufel, was soll das, natürlich bin ich Charles Railton, Basil. Was -»
Thomson unterbrach ihn. «Ich habe einen Haftbefehl für Sie. Die Anklage lautet, daß Sie in der Zeit zwischen März 1916 und Juli 1917 geheime militärische und wirtschaftliche Informationen an den Feind weitergegeben haben. Der Empfänger der Informationen war ein gewisser Hans-Helmut Ulhurt, ein Agent des deutschen Geheimdienstes.»
«Das ist... Was...» Charles faßte sich an die Kehle, Wood riß seine Hand herunter.
Basil Thomson hatte seinen Kollegen zuvor gesagt, sie müßten so schnell wie möglich eine Aussage von Charles bekommen. «Bevor er Zeit hat nachzudenken.»
«Wer zum Teufel ist Hans-Helmut Ulhurt?» fragte Charles verwirrt.
«Charles» - Thomson wurde wieder zum alten Kameraden -«wir glauben alle, daß es mildernde Umstände gibt. Wir kennen sogar einige. Also, rücken Sie schon mit der Sprache heraus.»
Die Pause war wie ein langes Einatmen. «Ich weiß nicht, worüber Sie reden. Die Bedingung war doch...» Er hielt inne.
«Was war die Bedingung?»
Charles zuckte die Achseln, senkte den Blick und schüttelte hilflos den Kopf, bis Kell zu sprechen begann.
«Wenn Sie wollen, können wir Sie vor ein Zivilgericht bringen.» Kell erhob sich. «Aber wir würden alle ein Militärgericht vorziehen, unter Ausschluß der Öffentlichkeit selbstverständlich. Es würde Ihrer Familie den Presserummel ersparen und uns erlauben, die Angelegenheit auf wenige Mitwisser zu beschränken.»
«Tun Sie, was Sie wollen.» Charles richtete sich zu seiner vollen Größe auf. «Ich habe nur eine Bitte, ich will meinen Onkel Giles Railton sehen, und zwar allein.»
Ein peinliches Schweigen verbreitete sich im Büro. Basil Thomson hüstelte, dann sagte Kell sehr leise: «Haben Sie es nicht gehört? Hat keiner es Ihnen erzählt?»
Charles antwortete nicht. Seine Augen flackerten, er blickte in die Runde der ernsten Gesichter.
Sie überließen es Kell. Er bot Charles einen Stuhl an. «Ich glaube, Sie setzen sich besser.» Charles setzte sich, und Kell holte tief Atem. «Denise ist gestern abend ins Schlafzimmer ihres Großvaters gegangen. Sie fand ihn halb liegend auf dem Bett.»
«O nein, nicht tot!» Charles schluchzte fast.
«Nein, nicht tot. Er hatte einen zweiten Schlaganfall. Er ist gelähmt und kann nicht mehr sprechen.»
Charles’ Reaktion entsetzte alle, denn er lachte. Aber es war kein hysterischer Lachanfall, sondern ein trockenes, höhnisches Lachen. «Typisch Giles! Er kann also nicht mehr sprechen! Der alte Teufel ist unschlagbar.» Dann beruhigte er sich und fügte mit fester Stimme hinzu: «Trotzdem, ich will ihn sehen - allein und so bald wie möglich.»
Thomson riet ihm, sofort eine Aussage zu machen. «Wir haben einen Haufen von Beweisen. Es wäre das Beste für uns alle.» Aber Charles erklärte, sie könnten reden, bis sie blau im Gesicht wären, er müsse zuerst Giles Railton sehen.
Die Ärzte sagten, er könne Giles besuchen, müßte aber mindestens achtundvierzig Stunden warten. Er hätte nicht mehr lange zu leben, vermutlich nur noch einige Tage, bestimmt nicht länger als zwei Monate. Zwei Ärzte besuchten ihn täglich. Churchill, jetzt Premierminister, hatte ihn aufgesucht, die Familie sah ihn regelmäßig für kurze Zeit. Was, fragten sich die Leute in Kells Büro, konnte der Angeklagte davon haben, einige Minuten am Bett eines Sterbenden zu sitzen, der nicht sprechen konnte? Charles bestand zum zweiten Mal darauf, daß er seinen Onkel allein sehen wollte, ohne Zeugen.
Einer nach dem anderen versuchte Charles zu einer Aussage zu überreden. «Die Informationen, die Sie weitergegeben haben, waren schließlich nicht so wichtig. Uns interessieren vielmehr die Gründe.»
«Sagen Sie uns doch wenigstens, warum», bat Wood.
«Nein, nein und nochmals nein. Zuerst muß ich Giles sehen und dann -
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