Eine ehrbare Familie
vielleicht. Ich bin unschuldig. Ich kenne diesen Mann nicht, von dem Sie reden.»
«Wir haben unwiderlegbare Beweise, Charles.» Es war das letzte, was Basil Thomson an diesem Tag sagte.
Charles war offensichtlich niedergeschmettert, aber er weigerte sich zu reden und ging nicht einmal auf die freundlichen Bemerkungen ein, die sie machten. Es wurde ihm nicht gestattet, die anderen Familienmitglieder zu sehen, auch nicht Mary Anne. Man hatte sie geholt und sie von der schweren Anklage in Kenntnis gesetzt. Wie die restliche Familie konnte sie es nicht glauben. «Ja, gewiß, es gab da irgendeine Sache mit einer feindlichen Agentin, aber Hochverrat -unmöglich!» Dennoch mußte sich jeder seiner Kollegen in ruhigen Momenten gefragt haben, ob Charles während der schrecklichen Krankheit von Mildred und den turbulenten Zeiten in seinem Privatleben nicht doch noch weitere Torheiten begangen hatte.
Sie beschlossen, seiner Bitte stattzugeben. Sollte er ruhig den alten Mann sehen, den Doyen ihres Gewerbes. Und danach würden sie ihn mit ihrem ganzen Beweismaterial konfrontieren und ein Geständnis erzwingen. Es wäre unsinnig, den Mann ohne ein Geständnis vor ein Kriegsgericht zu ziehen. Zu viele zwielichtige Dinge würden zur Sprache kommen.
Die Vorbereitungen wurden mit militärischer Genauigkeit getroffen. Thomsons Leute durchsuchten das Krankenzimmer. Die einzigen Ausgänge, die Tür und die beiden Fenster, wurden fest verrammelt, auch nahmen sie alle Gegenstände fort, mit denen der Angeklagte Selbstmord begehen könnte. Alles Schwere, Spitze oder Scharfe verschwand, das Zimmer war fast leergeräumt.
Der schwache Patient beobachtete die Männer, seine wachen, ängstlichen Blicke verfolgten jede ihrer Bewegungen.
Sogar die große Bibel mit dem dicken, breiten Lederbuchzeichen, die auf dem Nachttisch lag, wollten sie fortnehmen. Aber Giles grunzte so aufgeregt, daß die Schwester, die nicht recht wußte, was vor sich ging, sagte: «Lassen Sie die Bibel ruhig liegen. Er würde nie zulassen, daß sie auch nur einen Zentimeter verrückt wird. Sie scheint ihm Trost zu geben.» So blieb die Bibel liegen. Die Geheimpolizisten postierten sich vor der Tür und auf der Treppe.
Die Ärzte hatten gesagt, Giles’ beste Zeit sei am Frühnachmittag. Einer der Ärzte war zufällig im Haus, als man Charles hineinführte. Er warnte ihn, daß der Patient sich weder bewegen noch sich verständlich machen könne. «Er gibt gelegentlich Grunzlaute von sich und kann sehr ungeduldig werden. Die einzige Verständigungsmöglichkeit ist mit den Augen. Sein Verstand ist offenbar nicht gestört.»
Charles betrat das Zimmer acht Minuten nach zwei Uhr. Bevor der Geheimpolizist die Tür schloß, sah er noch, wie Charles sich einen Stuhl heranzog, so daß er in der Nähe des Kopfes des alten Manns sitzen konnte.
Charles kam um drei Uhr wieder zum Vorschein und wurde zurück in eines der «Sicherheitshäuser» in der Stadtmitte gefahren, das Kell sich mit C’s Leuten teilte.
C, Kell, Thomson und ein Vertreter des DID erwarteten ihn.
Kell begann etwas nervös: «Nun, wir haben unser Versprechen gehalten. Sind Sie jetzt bereit zu sprechen?»
Charles sah sie an, dann schüttelte er den Kopf und sagte ruhig: «Nein. Ich werde keine Aussage machen, nicht jetzt und auch nicht in der Zukunft. Wenn Sie mich vor Gericht stellen wollen, tun Sie das. Ich will keinen Anwalt, ich werde keinen Einspruch erheben und werde mich nicht verteidigen.»
Sie dachten, er wolle sie nur in Schwierigkeiten bringen, aber etwas in seinen Augen hatte sich verändert. Wood sagte später, er hätte sie «stahlhart» angeblickt.
Charles saß an einem Tisch, unbeweglich und schweigend, während die verschiedenen Spezialisten ihre Beweise auftischten. Zuerst kamen die dechiffrierten Nachrichten zur Sprache, angefangen vom Frühjahr 1916, aber ausgehend von früheren Quellen. «Wir haben gelegentlich Botschaften aufgefangen. Wir nannten es das Angler-Dossier. Ein kaufmännischer Code mit einigen Einschiebungen, um das Dechiffrieren schwieriger zu machen. Anweisungen kamen herein, verschiedene, kurze Nachrichten gingen hinaus, wir wußten jedoch, daß wir nicht alle abfingen. Einige wurden durch einen Kurzwellensender übermittelt, vermutlich von einem U-Boot. Der Verdacht lag nahe, daß sie von einem deutschen Agenten, der in Großbritannien arbeitete, stammten.»
Das Angler-Dossier bezog sich offensichtlich auf den «Fischer». Der Inhalt der Botschaften blieb im dunkeln.
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