Eine ehrbare Familie
Hauptmann Walter Nicolai hatte er bereits Schritte eingeleitet...
Am folgenden Morgen nahm Giles ein Taxi zum Kriegsministerium, und eine halbe Stunde später saß er Vernon Kell gegenüber.
Kell war außer seinem Assistenten Sprogitt allein. «Charles arbeitet wie ein Wilder», sagte Kell. «Er hat sich sehr verändert. Ist Tag und Nacht auf den Beinen. Ich schicke ihn von einem Kurs in den anderen. Paddy Quinn hat gerade bei der Polizei Fahrstunden für ihn gebucht.»
Giles fragte sich, wie lange der Eifer bei seinem Neffen anhalten würde. Nicht länger als ein paar Monate, vermutete er. Dann kam er unvermittelt auf den Grund seines Besuchs zu sprechen. «Sie können sich wohl schon denken, warum ich hier bin?»
«Walter Nicolai.»
Giles nickte.
«Sie haben gute Informationsquellen, Sir. Er traf genau an dem Tag ein, den Sie vorausgesagt haben.»
«Wie ist sein Besuch verlaufen?» Giles hatte den Londoner Aufenthalt von Hauptmann Nicolai Kell überantwortet.
«Quinns Leute haben sich seiner angenommen. Preußischer Offizier, Militärfamilie, jung, begeisterter als die meisten aufstrebenden jungen Offiziere.» Kell warf Giles einen spöttisch vielsagenden Blick zu. «Anscheinend haben sich kürzlich die Armee und das Auswärtige Amt wegen des Geheimdienstes in die Haare gekriegt. Und die Armee hat die Oberhand gewonnen. Hauptmann Nicolai hat einen einflußreichen Gönner. Er ist der Schützling von Oberst Ludendorff - Chef der Stabsabteilung Zwei. Die Armee hat vor, ihren eigenen Geheimdienst aufzubauen, und Nicolai soll der Chef werden.»
Nicolai hatte während seines gesamten Londoner Aufenthalts die Botschaft nicht verlassen. Aber er hatte einen interessanten Besucher empfangen - einen Zivilisten namens Gustav Steinhauer. Die Geheimpolizei hatte das Register von Steinhauers Hotel eingesehen. Steinhauer hatte eine falsche Berliner Adresse angegeben. Der Name der Straße war auf keinem Stadtplan eingezeichnet. Und so hatte sich Kell an einen seiner Mittelsmänner gewandt - einen Berliner.
Die Geheimpolizei hatte ebenfalls einige Erkundigungen eingezogen. Steinhauer schien viel zu reisen. Er gab sich als Papierfabrikant aus, hatte aber nie eine Firma aufgesucht, die sich mit Papier befaßte. Statt dessen interessierte sich Steinhauer für Werften. Er war zweimal für mindestens zwei Tage nach Irland gefahren.
«Eigentlich hätten wir Steinhauer beschatten sollen», sagte Kell mürrisch. «Aber Paddy Quinn hat nicht genug Leute.»
Giles erinnerte ihn an die nachmittägliche Sitzung des Unterausschusses für die Revision des Geheimdienstes. Kell rümpfte die Nase. Nach seiner Meinung wurde zuviel Zeit mit Reden vergeudet. Er wäre lieber bei seiner Arbeit geblieben.
«Kommen Sie, ich lade Sie zum Mittagessen ein.» Giles’ Tonfall war für ihn erstaunlich herzlich. «Und dann werden wir gemeinsam dem Unterausschuß die Stirn bieten.»
John war an diesem Tag in schlechter Verfassung. Er war überarbeitet und vermißte Sara, die zu seinem Erstaunen, ohne zu murren, in Redhill geblieben war. Außerdem hatte er einen Brief von seinem Sohn James erhalten, den man ihm in seinem Club kurz vor dem Mittagessen ausgehändigt hatte.
Lieber Papa,
ich habe meine Examen mit Glanz bestanden, so daß ich am 3. September dieses Jahres in Sandhurst eintreten kann. Diese Nachricht erfreut Dich hoffentlich.
Ich habe auch an Onkel Andrew geschrieben, um ihm die gute Nachricht mitzuteilen, denn Caspar hat sicher auch schon seine Resultate bekommen.
Das Wetter hier ist anhaltend schön, ideal zum Fliegen. Ich danke Dir vielmals für die Zahlung an Dick Farthing. Er hat es irgendwie arrangiert, daß ich für meine letzten Flugstunden eine Farman benutzen darf, weil er auch der Meinung ist, es sei das beste Flugzeug zum Lernen. Es gibt zur Zeit viel Platz auf dem umliegenden Hügelland, da das Vieh noch nicht draußen ist. Dick ist in den letzten zehn Tagen dreimal hierhergeflogen, um mir Unterricht auf dem Boden zu geben. Gestern hat er mir einen kurzen Überlandflug erlaubt und war sehr zufrieden mit mir. Sara findet das Ganze sehr aufregend und will auch unbedingt fliegen lernen! Sie scheint Dick sehr zu mögen. Er ist jedesmal über Nacht geblieben und erst im Morgengrauen zurückgeflogen.
An einem Morgen ist Sara sogar aufgestanden, um ihm auf Wiedersehen zu sagen. Sie ist wirklich eine großartige Stiefmutter, und Du wirst dich bestimmt freuen zu hören, daß sie großes Interesse für die Landwirtschaft und das
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