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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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Hauptmann Nicolai. «Sagen Sie, Nicolai, was ist eigentlich der Grund für diese Freundschaftsbesuche bei den Botschaften? Letzte Woche in Rom, jetzt Paris und danach London?»
    «Das Ganze ist eine Narretei.» Der Hauptmann hielt sein Schnapsglas zum Auffüllen hin. «Ich bin Soldat und kein Schreiberling...» Er zögerte. «Nun, da ich schon hier bin, bring ich das Unerfreuliche wohl besser hinter mich, damit wir uns angenehmeren Dingen zuwenden können.»
    «Bringen Sie schlechte Nachrichten aus Berlin?» Der Attaché richtete sich kerzengerade auf.
    Nicolai machte eine abwehrende Handbewegung. «Nein, nicht eigentlich. Nicht für Sie. Es ist einfach die Dummheit der Generale, die der Meinung sind, daß wir einen Geheimdienst aufbauen müssen, der ausschließlich dem Militär untersteht. Kontrolliert von der Armee für die Armee. Ein militärischer Geheimdienst. Keine Zivilisten...»
    «Außer als Agenten natürlich.»
    Der Attaché hatte diesen Einwurf sarkastisch gemeint, aber Nicolai überhörte ihn geflissentlich. «Anscheinend haben wir bereits eine Menge Agenten, die für uns arbeiten, besonders in England und Frankreich.» Er hielt inne, als sei er des Themas überdrüssig. «Man hat mich als Chef des Geheimdienstes vorgeschlagen - daher meine Besuche bei den Botschaften. Ich soll Sie instruieren...»
    «Mich instruieren?» sagte der Militârattaché mit einem drohenden Unterton.
    Nicolai machte eine entschuldigende Geste. «Ich bin noch nicht zum Chef des neuen militärischen Geheimdienstes ernannt. Aber ich soll Sie beauftragen... Sie bitten... Namen von Leuten, die eventuell in Frage kommen, nach Berlin weiterzugeben, an den Generalstab.»
    «Von eventuellen Verrätern? Agenten?»
    «So ist es.»
    «Das ist keine Aufgabe für einen Soldaten. Und nicht die Pflicht eines Militarattachés.»
    «Wirklich nicht?» Nicolai ließ die Frage in der Luft hängen. «Nun, ich habe Ihnen gesagt, was zu sagen ist. Jetzt Schluß damit. »
    «Was soll das Ganze?» fragte Klaus von Hirsch. «Wenn wir Krieg hätten, könnte ich es noch verstehen. Aber alles ist ruhig. Was soll man mit einem Geheimdienst mitten im tiefsten Frieden?»
    Der Militârattaché sagte mürrisch : «Wenn alle sagen, ein Krieg ist unmöglich, dann ist es an der Zeit, nach dem Schwert zu greifen.»
    «So ist es.» Walter Nicolais Miene war ernst geworden. «Gebietsvergrößerung, nicht Krieg - so wenigstens lautet die Parole. Andrerseits, was geschieht, wenn der verehrte alte Mann in Österreich ...»
    «Franz Joseph?»
    «Er ist alt, gebrechlich, krank, verläßt nie mehr seine vier Wände. Er wird bald sterben. Und wer wird sein Nachfolger?»
    «Ja, allerdings, wer?» stimmte der Attaché zu. «Franz Ferdinand, der Erzherzog?» Er lachte nervös. «Der Erztrottel? Ich habe noch nie einen Diplomaten oder Politiker getroffen, der ihn respektiert. Aber das ist kein Kriegsgrund.»
    Klaus von Hirsch hob leicht beschwipst sein Glas. «Wir leben in einem Jahrhundert des Friedens.»
    «Hoffen wir es», erwiderte Nicolai, wieder die Liebenswürdigkeit selbst.
    Sie stießen auf den Frieden an. Dann schlug der Militârattaché vor, sich in den Trubel der Lichterstadt zu stürzen. Als sie das Zimmer verließen, legte Nicolai seine Hand auf die Schulter von Hirschs. «Apropos, diese englische Dame, die Sie verehren...»
    Monique hatte eine kleine Wohnung genau gegenüber dem eleganten Gebäude in der Nähe der Place de l’Opéra gemietet, dessen zweiten Stock die Grenots bewohnten. Von ihrem Fenster aus konnte sie das Kommen und Gehen des Ehepaars und deren Besucher beobachten.
    Sie hatte sich als junge, gutbürgerliche Witwe ausgegeben, die zurückgezogen leben wollte («sie hält streng auf ihren guten Ruf...» so die Portiersfrau). Und daher war keiner erstaunt, daß sie nur höchst selten ihre Wohnung verließ.
    Monique hatte starke Zweifel, was die eheliche Treue von Madame Grenot betraf. Madame Grenot empfing tagsüber, zumeist am Nachmittag, viele Besucher, alle männlichen Geschlechts. Einer von ihnen erweckte Moniques besonderes Interesse - ein großer, gutaussehender preußischer Offizier mit der federnden Gangart eines Athleten - der Sekretär des deutschen Militârattachés. Er kam jeden Dienstag, Donnerstag und Freitag pünktlich um drei Uhr nachmittags. Monique fragte sich - nicht ohne weibliche Bosheit-, was für athletische Leistungen an diesen drei Wochentagen in der Wohnung der Grenots vollbracht wurden.
    Aber sie tat Marie Grenot unrecht.

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