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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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Mannes. «Komm in fünf Minuten wieder. Ich muß einen Moment allein sein.»
    Nachdem Roy gegangen war, starrte Giles Railton auf das vor ihm liegende Papier. Er las es zum zweiten Mal: «Mrs. Juno verließ Paris unerwartet heute früh mit dem blauen Buch stop unerklärlich stop erbitte Ratschlag stop Martha.»
    Er brauchte kein Codebuch, um den Text zu entziffern. Der Originaltext lautete: «Mme Grenot verließ Paris plötzlich heute früh mit Klaus von Hirsch. Benötige Ihre Instruktionen. Monique.»
    Giles’ Tochter Marie war mit dem Sekretär des deutschen Militärattaches der Pariser Botschaft verschwunden. Sie hatte Mann und Kinder im Stich gelassen und ihr Land und ihre Familie verraten. Giles strich sich über die Stirn, als hätte er Fieber. Wie konnte das passieren? fragte er sich.
    Vielleicht hatte Giles Railton nicht zwischen den Zeilen von Moniques regelmäßigen Berichten lesen wollen. Sie hatte ihm fraglos viele Hinweise gegeben, daß einiges nicht so war, wie es sein sollte.
    Vier Jahre lang hatte Monique das Ehepaar Marie und Marcel Grenot Tag und Nacht überwacht.
    Nachdem Marie mitgeteilt worden war, ihre Tätigkeit wegen der mißtrauischen, ja fast paranoiden Haltung Frankreichs Spionen gegenüber einzustellen, hatte Giles ernstlich mit dem Gedanken gespielt, Monique von Paris abzuziehen. Aber ein sechster Sinn sagte ihm, alles beim alten zu lassen.
    Später, als die ersten Schockwellen, die Maries Verschwinden mit Klaus von Hirsch hervorgerufen hatten, langsam verebbt waren, gab Giles sich ohne Zögern zu, daß es an Warnsignalen nicht gefehlt hatte. Trotz aller Bitten, vorsichtig zu sein, trotz ihrer zwei Kinder, trotz ihrer Versicherungen, sie sei eine liebende Ehegattin und Mutter, war Marie mit ihrem deutschen Liebhaber durchgebrannt. Niemand, und zuallerletzt ihr Vater, hatte mit dem unwägbaren Phänomen «Liebe» gerechnet.
    Am Anfang, vor einigen Jahren, war Marie durchaus glücklich gewesen mit ihren Kindern und ihrem ergebenen, wenn auch humorlosen französischen Ehemann. Damals lebte der General noch, und er wie auch Maries Vater, waren der Ansicht, daß der Flirt mit dem Sekretär des deutschen Militärattaches für England nur vorteilhaft sein könnte.
    Einige Monate vor seinem Tod hatte der General zu Marie gesagt: «Dein Vater hat dich mit einer Geheimmission betraut. Du bist eine der ersten Railton-Frauen, die wie Soldaten Befehle auszuführen haben.» Er hatte sie besonders liebevoll angelächelt. «Man hat dir eine militärische Aufgabe übertragen.»
    Als sich die Bindung zu Klaus von Hirsch festigte, hatte man Marcel ständig beruhigen, manchmal sogar anlügen müssen. Nach längerer Zeit des Hinauszögerns hatte Marie beschlossen, daß es notwendig sei, ihren Bewerber zu erhören. Es war ein höchst angenehmes Opfer gewesen. So angenehm, daß sie es immer häufiger wiederholte. Was sie, sowenig wie ihr Vater, nicht einkalkuliert hatte, war, daß diese anfangs geheuchelte Liebesgeschichte in eine für jede Ehe kritische Zeit fiel: Marie war bereits vierzehn Jahre mit dem etwas sturen Marcel verheiratet.
    Dazu kam noch, daß Marie schon seit 1910 von ihrem Mann enttäuscht war, ohne es sich jedoch einzugestehen. Er hatte sich zu einem Pedanten entwickelt mit allen dazugehörigen, irritierenden Eigenschaften. Marie litt wie so viele Frauen an der Eintönigkeit eines bis auf die Minute geregelten Haushalts. Ihre körperliche Anziehungskraft für ihn hatte nachgelassen, und da keiner von beiden liebeserfahren war, konnten sie ihr Intimleben mit keinerlei neuen Experimenten aufheizen.
    Aber es gab einen noch weit ernsteren Störfaktor in der Ehe der Grenots. Durch die unerbittliche Strenge Marcels hatten sich Maries Kinder - Paul und Denise - ihren Eltern entfremdet.
    Die erste sonderbare Begebenheit, die Monique an Giles berichtete, war, daß Klaus von Hirschs Dienstzeit in Paris verlängert worden war, etwas absolut Unübliches in diplomatischen und militärischen Kreisen.
    Das zweite Auffällige war, daß Marie trotz des Verbots, ihre Agententätigkeit fortzusetzen, weiterhin den deutschen Offizier häufig sah. Eine Tatsache, die Monique bekannt war und die sie an Giles weitergab. Dieser wiederum war sich wohl bewußt, daß seine Tochter den Deutschen nunmehr aus rein privaten Gründen sah. Aber er beachtete diese Warnsignale nicht. Die Gefahr, die seiner geliebten Tochter womöglich drohte, galt ihm nichts, verglichen mit dem Vorteil, den er sich von der Beziehung Maries zu

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