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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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Marcel Grenot arrangiert hatte. Ihr Vater und ihr Onkel, der General, hatten ihre aufblühende Zuneigung zu Marcel nach Kräften unterstützt und ihr zur Ehe zugeredet. Und warum? Jetzt lag die Antwort klar auf der Hand. Damit sie in Paris lebte, wo sie ihrem Vater von Nutzen sein konnte. Weder ihr Vater noch der General hatten auch nur einen Gedanken an ihr persönliches Glück verschwendet. Sie und Marcel waren nur Schachfiguren im Geheimspiel der Nationen.
    Nachdem sie zu dieser Erkenntnis gekommen war, keimten die ersten Samen der Bitternis in ihr, die mit der Zeit zu Feindseligkeit wuchsen. Ihr eigener Vater war verantwortlich für das, was geschehen war und noch geschehen würde. Sollte er den Preis dafür zahlen.
    Zu Hause war sie niedergeschlagen und unwirsch. Glücklich konnte sie nur mit Klaus sein, und selbst diesen hatte sie verraten, indem sie ihn als Informationsquelle benutzt hatte. Die hinterlistigen Intrigen ihres Vaters schürten in ihr allmählich einen glühenden Haß, so daß sie, als der Tag der Entscheidung kam, Klaus von Hirsch ohne Gewissensbisse und ohne Bedenken nach Berlin folgte.
    Es war ein heißer Sommertag, der 31. Juli 1914.
    Marie wußte, daß alle diplomatischen Bemühungen, den Krieg zu vermeiden, umsonst gewesen waren, so daß sie auf alle kommenden Schwierigkeiten vorbereitet war. Man konnte nicht im selben Haus mit Marcel wohnen, ohne den Ernst der Lage zu erkennen. Auch hatte ihr Vater sich offiziell mit ihr aus London in Verbindung gesetzt. Marie faßte also mit offenen Augen ihren Entschluß, während Europa unaufhaltsam auf seinen Untergang zusteuerte. Ihr Sohn Paul, jetzt siebzehn Jahre alt, war Offiziersanwärter. Er diente bei der Fünften Armee unter General Laurezac, einem alten Freund von Marcels Familie. Die ein Jahr jüngere Denise war in den Sommerferien zu Hause. Aber Marie dachte nur noch an ihre Zukunft. Sie hatte seit langem einen gepackten Koffer in der Wohnung an den Tuilerien stehen.
    Am 31. Juli sollte sie Klaus um drei Uhr nachmittags treffen, aber er setzte sich viel früher mit ihr in Verbindung.
    Sie benutzten die sicherste Art der Nachrichtenübermittlung: persönliche Briefe, die ein romantisch angehauchtes französisches Hausmädchen der deutschen Botschaft seiner jüngeren Schwester übergab und von dieser persönlich bei Madame Grenot abgeliefert wurden.
    Die Schwester des Hausmädchens erschien kurz vor zehn Uhr morgens bei den Grenots. Marie verließ das Haus eine halbe Stunde später und ging direkt in die Wohnung.
    Die Unterhaltung war kurz.
    «Kommst du mit mir nach Berlin?»
    «Natürlich, wenn du es wirklich willst.»
    «Du weißt, daß ich es will. Aber Marie, es wird nicht leicht sein für dich in Berlin, besonders da wir nicht verheiratet sind und dein Mann überall bekannt ist. Ganz abgesehen von der Position, die dein Vater in London einnimmt. In wenigen Tagen bricht der Krieg aus...»
    «Gibt es keine Hoffnung...?»
    «Ich glaube nicht.» Er schüttelte den Kopf. Sie bemerkte nicht, daß er sie während des ganzen Gesprächs nicht einmal angesehen hatte. «Deutschland wird Belgien ein Ultimatum stellen, in dem freier Durchzug für die deutsche Armee gefordert wird. In der Botschaft meint man, daß Belgien sich dagegen wehren wird, und dann wird Großbritannien nicht tatenlos danebenstehen. Du weißt, was das für dich bedeutet.»
    «Mir ist alles egal, Klaus. Ich will nur bei dir sein. Wann fahren wir?»
    «Ein Teil der Botschaftsangehörigen ist schon abgereist. Ich muß Paris in einer Stunde verlassen.» Zwei Koffer standen neben der Tür.
    Marie ging ohne weitere Worte ins Schlafzimmer, um ihren Koffer zu holen. In weniger als einer Stunde waren sie an der Gare du Nord. Auf den Bahnsteigen drängten sich unvorstellbare Menschenmengen. Ein Hauch des drohenden Verhängnisses lag in der Luft.
    Niemand kontrollierte sie, als sie den Mittagszug nach Berlin bestiegen. Und sie beachteten die junge Frau nicht, die an der Bahnsteigschranke stand, nahe genug, um zu sehen, daß sie beide in den Zug nach Berlin stiegen.
    Als die Lokomotive ein schrilles Pfeifen ausstieß und sich in Bewegung setzte, wandte sich Monique stirnrunzelnd ab, um zu ihrer Wohnung zu gehen und ihre Nachricht an Giles Railton abzufassen.
    Am nächsten Morgen kam Marie in Berlin an. Die Nachricht ihrer Flucht hatte ihren Mann Marcel erreicht. Er war verletzt, wütend und bitter und verbot seinen Kindern sofort, jemals wieder den Namen ihrer Mutter zu erwähnen. Paul

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