Eine ehrbare Familie
teilte er dies in einem Telegramm mit, der erschütterten, schluchzenden Denise sagte er es mündlich. Sie wurde auf Giles’ Anordnung hin noch am selben Tag nach London geschickt.
13
Zehn Tage nach Kriegsausbruch blickte ein sehr müder Charles Railton aus dem Eisenbahnfenster auf die flache, schöne Landschaft Norfolks.
Bis zu diesem Morgen hatte Charles keine Ahnung, daß er in einem Zug nach Norfolk sitzen würde, aber er hatte an seinem Reiseziel nichts auszusetzen.
Am letzten Friedenstag hatte Vernon Kell Charles in sein Büro gerufen und ihm mitgeteilt, die Zeit zum Handeln sei nun gekommen. Am gleichen Abend drang Charles mit einer Gruppe Geheimpolizisten in den Friseurladen in der Caledonian Road ein.
In den folgenden Tagen verbrachte Charles seine meiste Zeit mit der Geheimpolizei, um alle Mitglieder des «Friseurladen-Netzwerks» in Gewahrsam zu nehmen. Innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden des Kriegs wurden einundzwanzig Verdächtige festgenommen, und seitdem hatten Railton und Kell viele Stunden lang den Verhören beigewohnt.
Und dann plötzlich wurde Charles trotz aller Arbeitsüberlastung nach Norfolk geschickt.
Er war wie üblich ins Büro gegangen, nachdem er zum ersten Mal seit Wochen zu Hause übernachtet hatte. Er fand eine Nachricht von Kell vor mit der Bitte, sich sofort bei ihm zu melden.
Kells Büro war wie ein Generalszelt mitten auf einem Schlachtfeld. «Ich habe einen seltsamen und kitzligen Auftrag für Sie», fing er an. «Vermutlich kommt nichts dabei heraus, aber wie Sie sehen, sind höchste Stellen an der Sache interessiert.» Er öffnete eine Schublade und zog ein Stück Papier heraus. «Dies ist eine gekürzte Kopie. Das Original und den vollen Text kriegen wir natürlich nie zu sehen. Mr. Churchill kam spät gestern abend von der Admiralität herüber. Das Ganze muß natürlich streng geheim behandelt werden.»
Charles runzelte die Stirn beim Lesen. Es war ein Brief der jungen Mrs. Churchill an ihren Mann, den Ersten Lord der Admiralität.
Charles legte die Kopie auf den Schreibtisch zurück. «Wenn ich Mr. Churchill wäre, hätte ich den Brief hierhergebracht, noch bevor ich ihn zu Ende gelesen hätte.»
Mrs. Churchill befand sich mit ihren zwei Kindern, Randolph und Diana, in den Ferien in dem mondänen Ort Cromer an der Küste von Norfolk. Der Brief enthielt eine durchaus ernstzunehmende Warnung. Mrs. Churchill war von zuverlässiger Seite ein Gerücht hinterbracht worden, daß eine deutsche Aktion, sie zu entführen, bereits eingeleitet sei.
«Winston hat mir gesagt, daß das Komplott von einer äußerst vertrauenswürdigen und gut informierten Person aufgedeckt worden sei. Und das muß ich ihm einfach glauben. Ich habe ihn um nähere Angaben gebeten, aber er hat nur wiederholt, daß seine Quelle äußerst gut unterrichtet sei.»
Charles dachte über die Situation nach. Das Ganze klang ein wenig nach einem billigen Kriminalroman. Er fragte Kell, ob er glaube, die Drohung sei echt.
Kell räusperte sich. «Sagen wir, Winston glaubt es. Er machte einen sehr besorgten Eindruck gestern abend.»
«Und sie glaubt es.» Charles wies auf den Brief. «Sie meint sogar, die Einzelheiten zu kennen: Entführung per Flugzeug, als Lösegeld eines der Schlachtschiffe. Und sie verhält sich sehr mutig.» Er zitierte wörtlich einen Absatz des Briefs, den er gerade gelesen hatte: «Ich werde nicht zulassen, daß dieser Schurkenstreich gelingt. Du darfst nicht einmal das kleinste U-Boot oder das älteste Schiff opfern. Solltest du das Lösegeld zahlen, würde ich mein Leben lang unpopulär sein, und das will ich nicht. Wenn ich dagegen sterbe, weil das Lösegeld nicht gezahlt wird, dann werde ich als Heldin gefeiert werden und du als Spartaner...»
«Nach meiner Meinung war es der letzte Satz, der Winston nervös gemacht hat.» Kell lächelte dünn. «Aber wie dem auch sei, er hat verlangt, daß sie nicht merkt, wenn wir sie überwachen. Thomson hat zwei seiner Geheimpolizisten nach Cromer beordert, und ich schicke Sie als unseren Überwacher.»
«Wenn Sie es für richtig halten.» Charles versuchte, seine Freude zu verbergen.
«Ich brauche jemand in Cromer, dem ich vertrauen kann. Wenn wir die Sache ignorieren und etwas passiert, dann käme uns das teuer zu stehen. Ich möchte, daß Sie den Nachmittagszug nach Cromer nehmen.»
Detektivinspektor Brian Wood, mit dem er schon in der Sache Caledonian Road zusammengearbeitet hatte, erwartete ihn am Bahnhof in Cromer.
«Ich
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