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Eine ehrbare Familie

Titel: Eine ehrbare Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gardener
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würde ihm Quinn einige «ungewöhnliche Fertigkeiten» beibringen. «Ach ja, Sie haben ja Sprogitt noch nicht kennengelernt.» Er rief den Namen des Mannes laut in Richtung der Tür, die sich öffnete und den Blick auf ein winziges Büro freigab, wo Sprogitt die meiste Zeit verbrachte.
    An Charles’ erstem Tag im MO5 arbeiteten er und Vernon Kell ohne Mittagspause bis lange nach fünf Uhr, aber als sie schließlich das Kriegsministerium verließen, hatten sie bereits für MO5, diese neue Dienststelle, die später unter dem Namen «Die Firma» bekannt werden sollte, einen kompletten Organisationsplan aufgestellt.
    Der Abend war kalt, und ein frostiger Dunst umhüllte die Gaslaternen von Whitehall. Aber Charles nahm kein Taxi und ging auch nicht wie sonst in seinen Club. Statt dessen ging er zu Fuß nach Hause und genoß die Frische der kühlen Luft.
    Nach dem Essen erzählte er Mildred, daß in seinem Berufsleben ein Wechsel eingetreten sei, er hätte einen neuen Arbeitsbereich zugewiesen bekommen, doch auf nähere Erklärungen ließ er sich nicht ein.
    Bevor er einschlief, dachte er über einen Aspekt dieses ereignisreichen Tages nach, der seine Neugier erweckt hatte. Er hatte Vernon Kell ganz beiläufig gefragt, wer ihn für die Arbeit bei MO5 empfohlen hätte.
    «Natürlich Ihr Onkel, Giles Railton.» Kell hatte erstaunt geklungen, als hätte Charles ihn etwas gefragt, das nur zu offensichtlich war.
    Aber warum? fragte sich Charles, warum war das so offensichtlich? Warum war die Wahl auf ihn gefallen? Gewiß, Onkel Giles war ein hoher Beamter im Foreign Office. Aber wieso wußte so ein alter Langweiler wie Giles etwas über den britischen Geheimdienst?
    Fast zur gleichen Zeit, als Charles sein Haus in South Audley Street erreichte, schrillte in einem sehr viel ärmeren Stadtviertel, in der Caledonian Road, eine Klingel. Ein Mann stieß die Tür zur Nummer 402 A, einem Herrenfriseurladen, auf, was automatisch den Klingelton auslöste.
    Drinnen waren die Gasflammen hochgestellt, die zwei Friseursessel standen leer, und der süßliche Geruch von billigem Rum vermischte sich mit den unverkennbaren Gerüchen Londons, die durch die Tür hereinwehten - eine Mischung aus Unrat, Pferdeäpfeln und Ruß.
    Einen Augenblick lang blieb der Mann bewegungslos stehen und wartete, bis die lärmende Warnung der Glocke verstummte. Er war modischer gekleidet als die übrigen Bewohner dieses schäbigen Bezirks. Er trug einen langen, dunklen Mantel mit einem Pelzkragen; der Schnitt verriet seine ausländische Herkunft.
    Als die Glocke verstummte, erschien ein junger Mann mit einer nicht sehr sauberen Schürze im Türrahmen im Hintergrund des Ladens.
    «Guten Abend...» sagte er mit einer gutturalen Aussprache, hielt aber plötzlich inne, als er das Gesicht des Fremden sah, wandte sich um und rief aufgeregt die Treppe hinauf: «Karl!» Und dann noch lauter auf deutsch: «Karl, komm! Der Herr ist wieder da!»
    Der Besucher machte einen Schritt in den Laden, blieb stehen und ging dann selbstsicher weiter, sein hochgezwirbelter Schnurrbart zitterte wie die Schnurrhaare eines Raubtiers, das eine interessante Fährte wittert. Der junge Friseur wartete an der hinteren Tür des Ladens und blickte nervös nach oben, als er schwere Fußtritte auf den Stufen vernahm.
    Der ältere Mann, der die Treppe herunterkam, war offensichtlich der Besitzer des Friseurladens. Seine Bewegungen verrieten eine selbstverständliche Autorität, seine ganze Erscheinung war gepflegter und adretter als die seines jungen Gesellen, sein Haar kurz geschnitten, sein Gesicht etwas feist. «Ach, Sie sind’s!» knurrte er, aber er klang dennoch erleichtert. «Wilhelm, schließ die Tür ab.» Wilhelm ließ das Rouleau hinunter und drehte den Schlüssel im Schloß herum. Erst als dies geschehen war, fing der Besitzer wieder zu sprechen an. «Erfreut, Sie zu sehen... Herr... Weiß?»
    «Namen sind Nebensache. Kann ich Sie privat sprechen?»
    Der Besitzer führte seinen Besucher zur Treppe, nickte Wilhelm kurz zu und bedeutete ihm, unten im Laden zu bleiben.
    Im oberen Stockwerk fragte der Besucher: «Sind Sie zu einem Entschluß gekommen?» Er staubte mit einem Handschuh einen Stuhl ab und setzte sich, ohne auch nur für eine Sekunde den Friseur aus den Augen zu lassen.
    «Ja», hob der Friseur bedächtig an, als wähle er seine Worte sorgsam aus. «Ja, ich bin bereit, meinem Vaterland zu dienen. Aber ich brauche Hilfe. Allein schaffe ich es nicht. Der junge Wilhelm ist

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