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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Lander
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wenn er die Rubel gegen Finnmark tausche.
    Natürlich weiß und kennt Joel all diese Dinge. Man muss nur einen Blick auf die grau gewordenen Gesichter der Kinder im Dorf werfen und sich die Geschichten anhören, wie die Verzweifelsten sich für eine Tüte Mehl demütigen. Aber auch wenn Joel die höchste ehrenamtliche Tätigkeit in seinem Heimatdorf ausübt, bekommt er in Selmas Gegenwart den Mund nicht auf, sondern fühlt sich hilflos, fast wie ein Lehrling.
    Versteht die Frau denn überhaupt nicht, dass er vom ständigen Herumrennen und Verhandeln so erschöpft ist, dass er nach all den hitzigen und ermüdenden Versammlungen gern auf etwas angenehmere Art Kraft für die zukünftigen Aufgaben schöpfen möchte?
    Es hat angefangen zu schneien. Große, watteartige Flocken fallen Selma auf Haar und Schultern.
    Wie schafft man es nur, dieses begehrenswerte Wesen aufs Kreuz zu legen? In seiner Verzweiflung spielt Joel bereits mit dem Gedanken, die Mitleidskarte auf den Tisch zu hauen. Aber eine Frau wie Selma hätte wohl kaum Mitleid übrig für einen Mann, dessen Frau und Erstgeborener am anderen Ende Finnlands unter der Erde liegen, und den das eigene Kind Onkel nennt. Der arme Junge. Sein Vater kann ihm nicht mal Unterhalt zahlen.
    Ein schlitzäugiger Soldat geht unmittelbar neben ihnen vorbei und streift bei der Gelegenheit Selmas Hinterteil. Sie fährt herum, aber der Mann ist bereits unter den Matrosen verschwunden.
    »Soll ich ihm eine verpassen?«
    Selma schüttelt den Kopf, begibt sich aber intuitiv näher an Joel heran und hakt sich bei ihm unter. In seiner Dankbarkeit wäre er bereit, den frechen Kirgisen auf beide wettergegerbten Wangen zu küssen. Das ist das erste Mal, dass Selma eine Spur von weiblicher Verletzlichkeit an den Tag legt.
    Ja, mein kleines Mädchen, bleib du nur hier bei deinem männlichen Beschützer.
    »War bestimmt nur ein Versehen. Bei dem Gedränge. Aber es ist doch gut, dass jetzt so viele von ihnen da sind«, sagt Selma.
    »Wieso?«
    Na, weiß er denn nicht, dass die Garde von Salo die Matrosen um Hilfe gebeten hat, wenn sie ohnehin hier sein müssen?
    »Um Hilfe wobei?«
    »Wenn den Herren von Halikko die Waffen abgenommen werden.«
    »Hä?«
    Im Pfarrhaus Uskela gebe es Dutzende von Revolvern, das sei bekannt, von Gewehren ganz zu schweigen, ebenso in Kavila. Und natürlich im Herrenhaus Joensuu. Und sämtliche Jagdwaffen der Herrschaften kämen noch dazu.
    »So, so. Ich habe Lebensmittel beschlagnahmt, weil die Leute Hunger leiden, aber von Waffen lasse ich die Finger.«
    »Das geht nicht.«
    Joel bekommt einen trockenen Mund. Er denkt, ein Bier würde jetzt nicht übel schmecken. Es ist absolut sinnlos, Selma erklären zu wollen, dass ihm die scharenweise Anwesenheit von russischen Soldaten keinen zusätzlichen Kampfeswillen einflößt, sondern ihn eher befürchten lässt, die Situation könne außer Kontrolle geraten.
    »Kann man denen vertrauen, verwilderten Matrosen und Soldaten? Haben wir nicht schon genug am Hals, auch ohne dass wir die Söhne unseres Nachbarn hüten?«
    Selma drückt seinen Arm.
    »Ach, was für ein armer Kerl! Ist der Genosse Tammisto etwa erschöpft?«
    Joel weiß nicht, ob Selma ihn mit diesem plötzlichen Ausdruck von Mitgefühl verspottet oder neckt, aber er atmet gierig ihren Maiglöckchenduft ein.
    »Und wenn es Eifersucht ist?«, schlägt Joel kleinlaut vor.
    Selma muss lachen.
    »Frauen haben doch so viel für Uniformen übrig.«
    Außerdem lobt die Genossin Viitanen bei jeder Gelegenheit ausführlich die russischen Männer.
    »Nein! Wann denn?«
    Erinnert sich die Genossin Viitanen etwa nicht daran, wie es gewesen ist, als sie Kerenski zugehört haben? Die Genossin Viitanen hat auf Kerenski geschaut, aber er, Joel, auf die Genossin Viitanen, weil sie so glühend und stolz und wunderbar gewesen ist.
    Selma Viitanen wird verlegen, versucht es aber zu verbergen.
    »Na ja, der Mann konnte auch reden.«
    Joel schmunzelt. Und ob er das konnte. Brachte uns beinahe dazu, zu glauben, dass das, was wir als Letztes brauchten, das Selbstbestimmungsrecht wäre. Dass letzten Endes die höchste Erfüllung der Finnen in der Teilnahme an den Kriegsanstrengungen Russlands läge.
    Gut, aber habe sie sich denn beklagt, als dem Mann die Macht entrissen wurde?
    Sie zupft ein nicht vorhandenes Schmutzpartikel von Joels Kragen und schaut ihm mit schiefgelegtem Kopf direkt in die Augen. Strahlend vor Glück gibt Joel zu, kein auch nur halbwegs böses Wort aus dem Mund der

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