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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Lander
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Richtung lautete Sowjet-Russland, von wo man nicht so schnell wieder zurückkehrt.
    Das hieß dann also daswidania !
    Ob Hure oder nicht, Arvi hätte sich von Tante Betty mit Wehmut verabschiedet und sicherlich auch oft ihre fröhliche Nähe vermisst.
    Wenn sie ihn nicht gebeten hätte, sie zum Bahnhof zu bringen.
    Und wenn sie ihm nicht erzählt hätte, dass sie seine Mutter war.
    Arvi erreicht sein Ziel. Nachdem er die Pferde an den Stämmen unbelaubter Erlen festgebunden und ihnen Heu gebracht hat, richtet er sich aus den Pferdedecken eine Schlafstelle her. Zum Frühstück isst er etwas Roggenbrot. Er will nun ein bisschen schlafen und auf keinen Fall die Dirnenmutter in seine Gedanken lassen, die so kalt ihr Kind verstoßen hat und ihr Geheimnis lieber ins bolschewistische Nachbarland hätte mitnehmen sollen, wo sie es doch bisher geschafft hatte, es zu wahren.
    Als sie ihm mitten auf der Fahrt ruhig und ohne Sentimentalität den Sachverhalt mitteilte, wollte Arvi nach dem ersten Schreck und Unglauben das Pferd anhalten und der Frau befehlen, aus dem Schlitten zu steigen. Es hatte Zeiten gegeben, in denen Arvi mehr als alles andere eine Mutter gebraucht hätte, als die Sehnsucht so brennend war, dass ihm bestimmt auch eine Hure als Mutter recht gewesen wäre. Aber jetzt war er erwachsen und empfand nichts als Wut gegenüber der Frau, die sich als seine Mutter ausgab, ihm aber für immer fremd bleiben würde.
    Rasch weitete sich die Wut aus und schloss die alten Malmbergs ein, die über all die Jahre ihre Großelternschaft lügnerisch geheim gehalten hatten. Arvi erinnerte sich noch an die glühende Eifersucht auf Saida und Siiri, die er als Kind empfunden hatte, weil die beiden nicht nur Vater und Mutter, sondern auch Opa und Oma hatten, wohingegen es für ihn nur ein paar dubiose Onkel und Tanten gab. Und auf einmal begriff Arvi, dass Saida und Siiri seine Cousinen waren.
    Dann waren sie es halt! Mit Zöpfen, Schleifen … und ihren Spitzenunterhosen!
    Er musste keine besonders komplizierten Rechnungen anstellen, um zu verstehen, dass Betty Malmberg noch sehr jung war, als sie ihn bekam, wesentlich jünger als er jetzt ist. Aber das änderte nichts an den Tatsachen: Sie ist ein Flittchen mit loser Moral, das sich in die große weite Welt und in lasterhafte Verlockungen flüchtete, in einem Alter, in dem die anderen Mädchen sich noch züchtig die Haare flechten und mit jungen Katzen spielen.
    Nein, Arvi Malmberg brauchte keine Mutter mehr für gar nichts.
    »Ich dachte nur, weil wir uns vielleicht nicht wiedersehen.«
    Nachdem sie merkte, dass ihre Mitteilung den Jungen vollkommen verstummen ließ, wechselte die Frau so abrupt das Thema, wie sie es angesprochen hatte. Arvi saß mit rotem Nacken vorne auf dem Schlitten. Sein Kopf enthielt keinen einzigen Gedanken mehr, und er wollte kein Wort mehr hören. Er wollte die Frau nur so schnell wie möglich loswerden. Darum antwortete er ihr nur knapp oder gar nicht, und stellte vor allem keine Fragen.
    Die gingen ihm erst durch den Kopf, nachdem er sie mit ihren Koffern am Bahnsteig abgesetzt hatte und steif vor Zorn und Abscheu ihre letzte, feste Umarmung über sich ergehen ließ.
    »Eines will ich dir noch sagen. Aus dir ist ein richtiger junger Mann geworden. Das ist ein starker Trost für mich.«
    Er erwiderte nichts. Auch den Abschied nicht. Er drehte sich einfach um und kehrte mit energischen Schritten zu seinem Pferd zurück.
    Arvi starrt auf den Heustaub im Licht, das durch die Ritzen der Scheune fällt, und beschließt die unausgesprochene Frage an Betty Malmberg aus seinen Gedanken zu verbannen, indem er die Nägel zählt, die durch die Dachschindeln ragen. Er gibt sich Mühe, mit den Reihen nicht durcheinanderzukommen, verzählt sich aber trotzdem mehrmals und multipliziert schließlich die Zahl der Nägel in einer Reihe mit der Anzahl der Reihen. Das Ergebnis ist die Gesamtzahl der Nägel. Und was macht man mit dieser Erkenntnis? Die ganze Zeit stellt er sich das monotone Geräusch vor, das beim Einschlagen der Nägel entstanden sein muss.
    Drei Tage kann Arvi mit seinen Pferden bei der Scheune verbringen, ohne von irgendjemandem gestört zu werden. Am zweiten Tag hört man aus der Ferne ein Grollen, das die Pferde eine Zeit lang nervös macht, aber Arvi kann sie bald wieder beruhigen. Einige Male bellen Hunde. Am dritten Morgen wacht er vom Trommeln eines Spechts und vom lauten Gesang der Buchfinken und der anderen Vögel auf. Vom nahe gelegenen Moorteich

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