Eine eigene Frau
kampfunfähigen Mann vergeuden sollen, der sowieso sterben würde?
In Nauvo hatten sich auch Deutsche an den Kämpfen beteiligt und sie mit den Kanonen ihres Kriegsschiffes unterstützt. Alles war ansonsten gut gegangen, aber Anders hatte sein Gewehr verloren, als er auf einer Eisscholle eine Spalte überquerte. Er schlug die am Rand der Spalte festgefrorene Scholle frei, da fiel ihm die Waffe ins Meer. Aber es sei ohnehin ein Scheißgewehr gewesen. Und am nächsten Tag habe er von einem Roten, der am Zaun des Friedhofs von Nauvo gefallen war, einen nagelneuen Mosin-Nagant und 40 Patronen bekommen.
Anders setzt sich hin und kaut eine Weile auf einem Stück Brot. Er blickt in die Wipfel der unbelaubten Erlen am Ufer und spricht mit leiser Stimme weiter.
Doch … ihn habe nach alldem die Müdigkeit gepackt. Im Grunde sei alles ein ziemliches Durcheinander gewesen. Der Dicke hätte kommandieren sollen, sei aber nirgendwo zu sehen gewesen. Auch Ehrensvärd hatte Anders zwei Tage lang nicht zu Gesicht bekommen. Einen ganzen Tag und eine Nacht war er mit zwei Kameraden übers nebelverhangene Eis geirrt, ohne zu wissen, wo sich die anderen befanden, ob sie überhaupt noch irgendwo waren.
In Nauvo stand ein verlassenes Pferd am Ufer, festgebunden an einem Baum. Plötzlich tauchte ein Deutscher auf, ein Oberfeldwebel, und rief: »Sammeln, sammeln«, oder etwas in der Richtung. Es sei alles so verdammt durcheinander gewesen, sagt Anders, beschissen chaotisch und kalt …
Seiner Schilderung ist die anfängliche Begeisterung längst abhandengekommen, und Arvi glaubt schon, Anders sei am Ende angelangt, da er sicher eine Minute lang mit dem Kopf zwischen den Händen stumm dasitzt. Aber er redet weiter. Arvi bleibt nichts anderes übrig, als zuzuhören, wie Anders seinen Enthusiasmus wiederfindet und lang und gründlich das Vorrücken seiner Abteilung an der Küste entlang schildert.
Die Geschichte gipfelt in dem 50 Kilometer langen Triumphmarsch auf das befreite Turku zu. Am Straßenrand kamen Menschen zusammen und jubelten und verteilten Geschenke an die Helden. Während er das erzählt, zieht Anders einen Stiefel aus und hält Arvi den Fuß mit dem grauen Strumpf hin. Er solle mal fühlen, wie weich die Wolle sei.
»Als würde man ein Katzenjunges streicheln, was?«
Er erzählt, die Strümpfe seien das Geschenk eines hübschen Mädchens aus Parainen, das sie eigenhändig aus Lammwolle gestrickt habe.
»Und jetzt hält die Kompanie ihr Quartier in Turku. Leutnant Ehrensvärd hat mir zwei Tage Urlaub gegeben, damit ich den Grafen und die Gräfin Armfelt besuchen kann, nachdem er gehört hat, dass es alte und gute Bekannte von mir sind. Zumal der Graf selbst Leutnant ist.«
»Ach ja.«
Anders wirft sich ins Gras und verschränkt die Hände im Nacken.
»Jesus, ist das lange her, dass ich in der Gegend hier gewesen bin.«
Arvi hat sich Anders’ Schilderung fast wortlos angehört, aber jetzt steht er auf und sagt, es sei an der Zeit zu packen und die Pferde zum Gut zurückzubringen. Anders will ihm noch sein neues Gewehr vorführen und fragt Arvi, ob er zu seiner Sicherheit auch ein Schießeisen habe.
Arvi schüttelt den Kopf.
»Und wenn du von Roten entdeckt worden wärst, die beim Pferdestehlen sind?«
»Weiß ich nicht, weil sie mich ja nicht entdeckt haben.«
Während Arvi die Pferde zum Aufbruch bereit macht, fasst Anders Interesse für einen der Heureuter, die unter dem überstehenden Dach an der Wand aufgestapelt sind, und dreht ihn in den Händen hin und her.
»Sind das hier die einzigen Waffen, mit denen du dich gegen die Roten hättest verteidigen können?«
Er nimmt Anlauf und wirft den Heureuter im Vollgefühl seiner Kräfte so weit er kann auf die Wiese. Der Speer fliegt ein beträchtliches Stück, und Anders grinst Arvi triumphierend an.
»Bei Pferdedieben darf man nicht sentimental werden, stimmt’s?«
Er erzählt, er habe das gelernt, weil er selbst einmal ein Pferd gestohlen habe. Zwar sei das Pferd nur aus Zinn gewesen, aber es habe ein General in Paradeuniform darauf gesessen, und der Zinngeneral habe Paul gehört. Anders erinnert sich nicht, warum er ihn geklaut hat, aber er sei erwischt worden, und die Strafe habe darin bestanden, dass er für ein ganzes Jahr zu seinem Onkel nach Uppsala musste, um auf Vordermann gebracht zu werden. Der Onkel sei Pfarrherr in der Stadt gewesen. Ein widerlicher Kerl, um die Wahrheit zu sagen. Aber das sei dem kleinen Pferdedieb nur recht geschehen. Wie auch
Weitere Kostenlose Bücher