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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Lander
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alle«, erwidert Seelia.
    Sie vermutet halbherzig, dass es am ehesten irgendwelche jungen Rowdys sind, die Streit suchen, oder aber sehr kindische und hirnlose Männer. Besonders schwer kann sie sich amerikanische Frauen beim Raufen vorstellen, welche Hautfarbe sie auch haben mögen.
    Saida wird rot, denn Seelias Antwort lässt kein Missverständnis darüber aufkommen, wer hier kindisch und hirnlos ist: Saida nämlich. Was ja auch stimmt, weil sie schwachsinnigerweise über genau das Thema geplaudert hat, von dem sie gerade noch behauptet hat, sie habe es satt. Aber Seelias schnippische Antwort ist trotzdem nicht besonders fair, wenn man bedenkt, dass Saida es nur gut gemeint hat, als sie zu der armen Frau gegangen ist, um mit ihr zu reden.
    Aus Mitleid, wenn man ehrlich ist.
    Seelia, die ständig so aussieht, als friere sie, trägt ein dickes, braun kariertes Kleid und kein dünnes, helles wie die anderen Frauen beim Ausflug der Wohlfahrtspflege. Außderdem hat sie während der gesamten Fahrt Abstand zu den anderen gehalten, das ist Saida aufgefallen.
    Seelia ist nie eine Schönheit gewesen, inzwischen wirkt sie aber auffallend hängebrüstig und schmuddelig. Man munkelt, sie habe Schwindsucht, darum machen viele aus Angst mittlerweile einen Bogen um sie. Seelias Schroffheit bringt Saida trotzdem zum ersten Mal auf den Gedanken, dass die Frau ihre Isolation selbst gewählt hat. Vielleicht will sie ja am liebsten alleine sein.
    Saida kann aber nicht gleich nachgeben und ihre Niederlage eingestehen. Ihr Eigensinn ist wie entfesselt, weshalb sie bei dem Thema bleibt, obwohl es beide längst für dumm erklärt haben. Sie gibt zu, dass es sich bei den meisten Frauen so verhält, wie Seelia gesagt hat. Wie aber ist es dann möglich, dass in Finnland und Vartsala tagelang alle außer Rand und Band geraten, bloß weil jenseits des Ozeans ein Mensch bewusstlos geschlagen worden ist?
    Seelia reagiert nicht.
    Saida würde sich am liebsten die Zunge abbeißen. Vermutlich hat sie Seelia jetzt noch mehr verärgert. Andererseits würde sie die Frau am liebsten über die Reling stoßen. Die heiteren Stimmen der Ausflügler dringen ihr ins Ohr, aber wegen ihrer Scham und ihrer Verwirrung ist sie nicht in der Lage, ganze Sätze zu verstehen. Die rot-weiße, vom Qualm des kleinen Schleppdampfers verrußte Fahne flattert vor ihnen wie die Fliegenklatsche aus Leder, die Herman entwickelt hat.
    Endlich kann Saida doch einzelne Sätze aus dem Stimmengewirr heraushören. Die Diskussion über den Meisterschaftskampf im Boxen ist von Osku Venhos schlüpfrigen Spekulationen über die Frage abgelöst worden, wie gewisse seidene Frauenunterhosen ihren Weg in den Garten des Patrons gefunden hätten, während sich Frau Jakobsson bei der Schoßhundeausstellung in Helsinki aufhielt.
    Wenn Saida jetzt zu den anderen zurückkehrt, muss Seelia unweigerlich den Eindruck gewinnen, dass sie die Seidenunterhose im Garten des Direktors gegenüber dem amerikanischen Kampfsport für ein willkommenes und interessantes Gesprächsthema hält. Verzweifelt sucht Saida nach einem ehrenvollen Rückzugsweg und erinnert sich schließlich daran, wie ihre Mutter sich in heiklen Situationen aus der Affäre zieht.
    »Zum Glück fällt der Ausflug auf so einen schönen Tag«, sagt sie. »Vor allem weil es am Morgen noch ein bisschen nach Regen ausgesehen hat.«
    »Ja, ja«, bestätigt Seelia. »An Sonne herrscht kein Mangel.«
    »Genau. Regen hätte das Ganze ziemlich verdorben.«
    Seelias Stimme klingt zwar bitter, aber Saida wäre bereit, die Frau dankbar zu umarmen, weil sie sich überhaupt die Mühe macht, etwas zu sagen. Und nicht nur das.
    Zum großen Erstaunen des Mädchens wiederholt Seelia ihren Satz und führt das Thema sogar mit tonloser Stimme fort: Ja, das sei in der Tat sonderbar, dass die heiße, uralte Sonne nie ausgehe und dass sie einem gerade heute ins Gesicht scheine wie ein Dampfkessel. Aber das sei wohl allen sehr angenehm. Bei starkem Wind, von Regen ganz zu schweigen, wäre es wesentlich unschöner, an der Reling zu lehnen und die Landschaft zu betrachten.
    Wegen der Landschaft sei man zu der Fahrt ja aufgebrochen, um das Meer zu sehen und all die kleinen nackten Felsinseln und auch die etwas größeren Inseln, auf denen dicke Schafe blökend von einem Gebüsch zum anderen traben. Sie habe sich, gibt Seelia zu, nach Meer und Inseln die Augen krank geguckt bei diesem Ausflug, nach all den Landschaften im Schärenmeer, die zwar hier und da ein

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