Eine eigene Frau
unter Tränen, wie sie ein für alle Mal ihr Herz an ihn verloren habe, in dem unvergesslichen Moment, als er bei den Skiwettkämpfen knapp vor Herman Harjula die zehn Kilometer gewonnen und den Blaubeersaft, den sie ihm gebracht hatte, getrunken und dabei mit zwei Händen sowohl Hilmas Finger als auch den Becher festgehalten habe. Hilma ist sicher, dass sich damals etwas zwischen ihnen entzündet hat, und sie kann nicht verstehen, dass Joel all das eiskalt vergessen haben will.
Joel fährt sich durch die Haare und sagt, Hilma sei ein Kind, und was sie rede, sei Kinderkram.
Mit Tränen in den Augen und voll eiserner Entschlossenheit marschiert Hilma zur Tür. Sie schließt ab und wirft den Schlüssel in die Ecke. Ist man vielleicht ein Kind, wenn man bereit ist, mit seinem Verlobten und für ihn alles zu tun? Ja, sie weiß schon, dass es keine Seligkeit bringt, wenn man sich verheiratet. Da steht der doppelte Mangel in Aussicht. Man muss Kinder zur Welt bringen und von morgens bis abends schuften. Hält sich denn Joel Tammisto für klug genug, die Wahrheiten des Lebens zu verstehen?
Vielleicht weiß sie, Hilma, auch das ein oder andere darüber. Vielleicht hat sie hören müssen, wie die Mutter schreit, wenn der Lohn des Vaters für Selbstgebrannten draufgeht. Wie oft ist sie Zeugin gewesen, als bei der Mutter die Tage nicht gekommen sind und stattdessen neun Monate später ein Kind aufgetaucht ist. Vielleicht versteht auch die dumme Hilma was vom Leben! Und dieselbe Hilma mag den Joel nun zufällig so sehr, dass es sie zerreißen will! Warum muss er sie dann quälen und immerzu auf ihr herumtrampeln?
Joel lässt sich auf den Stuhl fallen und fleht das Mädchen an, mit ihren ungerechten Vorwürfen aufzuhören.
Er sagt, an ihr sei nichts verkehrt, er wolle bloß überhaupt nicht heiraten.
Hilma schüttelt den Kopf. Das kann man so nicht sagen. Alle heiraten. Oder jedenfalls die, denen sich die Gelegenheit bietet.
Sie geht vor dem Mann auf die Knie, schlingt die Arme um seine Hüften und drückt den Kopf an seinen Körper. Und obwohl sie vor dem Zucken unterm Hosenstoff erschrickt, bleibt sie beharrlich in dieser Haltung. Aufgeregt erklärt sie, sie müsse von zu Hause weg, oder sie werde wahnsinnig. In einem Schwall kommt die ganze Not aus ihr heraus.
Begreift Joel überhaupt, wie schrecklich selbstmitleidig ihr Vater geworden ist, nachdem er die Finger verloren hat? Und weil die Säge schon wieder steht? Alles ist schon lange nichts als graues Elend, eine lange Pein aus Langeweile und Erschöpfung. Die Mutter redet über nichts anderes als über ihre Sehnsucht nach Kaffee und über die leeren Bäuche der Jungen. Und der Vater flickt, wenn er nicht säuft, immer nur seine Reusen und uralten Netze, geht vergebens zum Aalquappenangeln und liest den Rest des Tages immer wieder von neuem Der Sozialist in der blödsinnigen Hoffnung, dass er eine Nachricht, die eine bessere Zukunft verheißt, übersehen hat. Hilma glaubt nicht, dass der Vater je wieder Arbeit finden wird, sondern dass die ganze Familie bis zum Grab außer dem Hunger auch noch des Vaters widerliche Düsterkeitsanfälle aushalten muss.
»Na, na, so schlimm ist es …«
Doch, so schlimm ist es! Joel muss Hilma retten. Einen anderen Weg gibt es nicht. Oder Hilma tut sich etwas an.
Joel sitzt reglos und wortlos da, aber das Mädchen knöpft ihm entschlossen die Hose auf und zieht ihn zu sich auf den Fußboden.
Dort, als sie unter Joel auf den eiskalten Dielen liegt, versichert sie sich noch einmal, ob er auch den gesamten Inhalt der Abmachung begriffen hat.
Joel sagt, er habe es begriffen.
Und das hat er auch.
Saida, 14
Vartsala, Juli 1910
»Jack Johnson, Jack Johnson …«
Saida schüttelt vor Seelia Selin, die sich auf die Reling stützt, den Kopf und fragt sie, ob sie die endlosen Geschichten der Männer über den stärksten Neger der Welt nicht auch satthabe. Seelia blinzelt in die helle Sonne. Sie sagt, sie wisse nichts von irgendwelchen Negern. Ihre Stimme klingt gleichgültig. Saida kann nicht verstehen, wie Seelia das laute Gerede der anderen nicht hat hören können, wo es doch vom Bug bis zur Achterkante deutlich auf dem ganzen Kahn zu verstehen ist.
Saida betrachtet es als ihre Aufgabe, eine Erklärung zu liefern: Jack Johnson ist ein schwarzer Boxer, der in Amerika einen weißen Mann besiegt hat. Darum prügeln sich jetzt angeblich auf den Straßen von New York alle Weißen und Schwarzen wie die Verrückten.
»Bestimmt nicht
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