Eine eigene Frau
dass … Oder?«
»Ei, ei, was denn? So klitzekleine Zehen, ja gibt’s denn das …?«
»Es herrscht ein richtig ›herzliches Einvernehmen‹. Wenn sie nur halten würde, die schöne Einigkeit.«
Hilma nimmt zu der Weltlage, die sich so positiv entwickelt, nicht Stellung, sie kichert bloß. Joel lässt die Zeitung sinken. Seine Frau hat den Jungen aus dem Handtuch geschält und in Windeln gewickelt. Spaßeshalber hat sie ihm einen Mittelscheitel in die hellblonden Haare gekämmt. Damit soll eindeutig die Aufmerksamkeit des Vaters geweckt werden. Hilma zuliebe tut Joel tatsächlich so, als missbillige er die Maßnahme. Hält sie das etwa für angebracht? Der Junge sieht ja aus wie ein Pietistenpfarrer.
Animiert von ihrem kleinen Scherz beteuert Hilma, sie ziele bei der Erziehung des Jungen gerade darauf ab, sich auf ihre alten Tage in einem Pfarrhaus bedienen lassen zu können. Sie knöpft die Bluse auf und legt das Kind zum Stillen an. Joel will seine Frau bei guter Laune halten. Wenn der Junge seine Milch bekommen hat und eingeschlafen ist, wird hoffentlich er an der Reihe sein, Hilmas Gunst zu erwerben. Ihre Brüste darf er nicht mehr anfassen, die sind empfindlich geworden und gehören nun ausschließlich dem Jungen, aber sonst ist sie noch fast ebenso bereitwillig wie früher. Dabei haben ihm die Kollegen im Sägewerk einsame Zeiten prophezeit: Frauen würden unwillig, nachdem sie ein Kind bekommen haben. Tatsächlich war Hilma anfangs hundemüde von den durchwachten Nächten. Beim kleinsten Anlass gab es Streit, aber inzwischen erlaubt sie Joel schon seit vielen Wochen, sich ihr fast jeden Abend zu nähern. Sonntags sogar am Morgen, sofern das Kind bereit ist, dann sein Nickerchen zu machen. Trotzdem ist es nicht dasselbe wie vor dem Kind. Es ist irgendwie unangenehm verhuscht geworden. Er weiß, seine Frau wartet immer nur, bis es vorbei ist, damit sie sich wieder in Ruhe dem Kind widmen kann. Joel befürchtet sogar, dass Hilma es trotz ihres Entgegenkommens für die Herabsetzung von etwas Heiligem und Reinem hält, wenn er sich zwischen Mutter und Kind drängt. Am liebsten wäre ihr wohl, wenn mit der ganzen Angelegenheit ein für alle Mal Schluss wäre.
Hilma sagt, sie träume von genau so einem Blumengestell, wie es im Flur des Pfarrhauses gestanden habe, als der Junge seinen Namen bekommen habe. Ob Joel so eines bauen könne?
»Was für eins?«
Hilma sieht ihn erstaunt an. Kann er sich nicht daran erinnern?
Joel versucht seinen Ärger zu verbergen. Wie hätte er auf so etwas achten sollen, wo der Junge geschrien hat wie am Spieß, und zwar während der Taufe und danach. Außerdem braucht Hilma nicht auf Blumengestelle zu schielen. So lange sie noch einen Dachstuhl überm Kopf haben, ist das Gestell genug.
Seit der Taufe ist das Pfarrhaus zu einer ärgerlichen fixen Idee von Hilma geworden. Tagelang hat er sich anhören dürfen, wie elegant die Einrichtung dank des neuen Pfarrherrn geworden sei. Zwar hatten sie damals nur Flur und Büro gesehen, aber die Türen zum Wohnzimmer und einem anderem Zimmer waren offen gewesen. Das hatte genügt, um Hilmas träumerische Fantasie ausufern zu lassen. Joel braucht sich gar nicht erst die Mühe zu machen, ihr zu erklären, dass die Wohnungseinrichtung solcher Herrschaften den Sozialisten nicht als Vorbild dienen kann. Er versucht nicht auf die schweren Brüste seiner Frau zu schielen und sich auf die Zeitung zu konzentrieren.
Aufstand in China. Räuberbanden beherrschen die Provinzen, deren Namen ein Finne nicht einmal aussprechen kann. Die amerikanischen Trusts Standard Oil Comany und American Tobacco Company werden geteilt.
»Für einen finnischen Sägewerkarbeiter ist es ein und dasselbe, wie der Kapitalist seinen Gewinn aufteilt …«
Hilma ist der gleichen Meinung, auch für die Frau des Sägewerkarbeiters ist es ein und dasselbe. Und für das süße Bübchen des Sägewerkarbeiters ebenfalls. Ihre Blicke treffen sich, und seine Frau lächelt ihn an. Joel erwidert das Lächeln überrascht. Vorsichtig versuchen sie den plötzlich entstandenen Keim der Harmonie zu hegen. Für eine Weile fühlen sie sich glückselig miteinander, sie teilen die Freude über den in jeder Hinsicht wunderbaren Sohn, aber auch den Missmut über das sittenlose Vorgehen der besitzenden Klasse.
»Wenn die Säge wieder steht, weiß ich nicht mehr …«
»Mal den Teufel nicht an die Wand.«
Joel überlegt, ob er es wagen soll, einen Gedanken zu äußern, den er schon lange mit
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